3.1.2 Der streitbare katholische Pfarrer Dibelius um 1838
- Ein wahrhaft ökumenischer Freigeist -

Die katholische Kirche von Mutterstadt zur Zeit des Pfarrers Dibelius, 1830. Zum Thema: Protestanten und Juden konnten in religiösen Belangen in Pfarrer Dibelius einen toleranten, ökumenisch denkenden Bruder im Geiste der Freundschaft finden, entgegen dem Zeitgeist des 19. Jahrhunderts. Beispiel sei die Mitwirkung Dibelius‘ bei der Synagogeneinweihungsfeierlichkeit 1838. Dibelius‘ tiefgreifende Rede in der Synagoge, die dieser nach der Predikt des Bezirksrabbiner Aron Merz hielt, war von Toleranz Andersdenkenden gegenüber geprägt. Aber es gab auch Vorhaltungen seitens seiner Vorgesetzten. [000]

1

Obige Statistik lässt einen tiefen Einblick in die dörfliche Struktur von Mutterstadt zwischen 1769 und 1780 zu. Es lebten hier um 1830 bis zu 15 Juden, um 1830 ca. 85 Personen. Zum Thema: Dibelius argumentierte, dass er in bürgerlicher Kleidung, als Privatmann, den Bürgermeister vertreten habe und den religiösen Spruch am Synagogeneingang dahingehend interpretiert habe, König, Vaterland und Bürgerpflichten hochzuhalten. Der Spruch lautete: „Hier die Schwelle des Herrn, nur der Fromme und Gerechte soll sie betreten.“ 1848 wurde er nach Böhl versetzt, wo er 1869 verstarb. [000]

Am Ende der Oberen Kirchstraße, schräg gegenüber der katholischen Kirche, am Ende der Straßenzeile links, befand der Betraum der jüdischen Gemeinde und die Wohnung des Vorstehers. Von dort setzte sich der Umzug über „Die Port“, am Rathaus vorbei zu dem schräg gegenüberliegenden Synagogenneubau in Bewegung. Zum Thema: Am 26.11.1838 forderte die vorgesetzte Kirchenbehörde Dibelius auf, schriftlich zu erklären, warum er sich durch seine Mitwirkung bei der Synagogen-Einweihung exponiert habe. [000]

Das Verhältnis im 19. Jahrhundert zu den Juden wird in der Broschüre „200 Jahre Pfarrei St. Medardus Mutterstadt“ auf Seite 61 sehr bildhaft beschrieben. Über den Akteur auf katholischer Seite, Pfarrer Dibelius, 1796 geboren, der 1830 die Mutterstadter Pfarrei übernommen hatte, ist festzuhalten:

Pfarrer Dibelius scheint ein außerordentlich toleranter Mann gegenüber den Protestanten und auch den Juden gegenüber gewesen zu sein. Das gute Einvernehmen mit den Protestanten bezeugt die Tatsache, dass vom Juli bis November des Jahres 1831 den Protestanten Gastrecht in der katholischen Kirche gewährt wurde, als die protestantische Kirche mehrere Monate wegen Reparaturarbeiten nicht genutzt werden konnte. Es war selbstverständlich, dass die Protestanten ihren Gottesdienst in der katholischen Kirche abhalten konnten. Das Verhältnis zu den Juden war in der damaligen Zeit noch außerordentlich problematisch. Kontakte zwischen den christlichen Konfessionen und den Juden waren von oben nicht gerne gesehen. Es gehörten insbesondere für einen Pfarrer sehr viel Mut und Zivilcourage dazu, gar an religiösen Feierlichkeiten der Juden teilzunehmen. Im Jahre 1830 war die alte Synagoge von Mutterstadt geschlossen und ein Neubau begonnen worden, zu dem auch Christen beider Konfessionen ihr Scherflein beitrugen. Zur Einweihung am 14. November 1838 wurden auch die christliche Bevölkerung und die Geistlichen beider Konfessionen eingeladen. Die „Neue Speyerer Zeitung“ berichtet am 22. November von dem Ereignis (auszugsweise zitiert): „Um 11 Uhr begab sich ein feierlicher Zug unter Gesang, Musik, Geläute der Glocken und Herbeiströmen vieler Fremder aus der Nähe und Ferne von dem katholischen Pfarrhaus, wo sich der Ortsvorstand, einige Geistliche, mehrere Beamte und der Gemeinderat versammelt hatten, in der erbaulichsten Ordnung in die Synagoge, wo die Einweihungszeremonien vorgenommen wurden. In der Synagoge hielt der Bezirksrabbiner, Herr Aron Merz, eine eindringliche Rede. Nach diesem bestieg der hiesige katholische Pfarrer, Herr Dibelius, die Stufen des Altares und hielt eine sehr tief ergreifende Rede. Gerührt war die große Menge der Zuhörer, als er die hebräische Überschrift der Außenpforte mit den kräftigsten und trefflichsten Worten erklärte. Heil diesem toleranten Mann. Es möge ihm der Herr des Lebens noch lange Jahre in seinem Wirkungskreis erhalten, und nur Gutes wird dieser Menschenfreund, der jeden Glauben zu schätzen weiß, hervorbringen“. Auch die Lehrer trugen zum Gelingen der Feier bei.

Durch diesen Bericht aufmerksam gemacht, forderte das bischöfliche Ordinariat Pfarrer Dibelius am 26. November 1838 auf, schriftlich zu erklären, ob dieser Sachverhalt stimme. Der Pfarrer bestätigte am 3. Dezember im Großen und Ganzen den Vorgang. Der Vorsteher der israelischen Gemeinde wohne dem katholischen Pfarrhaus gegenüber. Die Gäste hätten sich hier versammelt. Um nicht auf der Straße zu stehen, hätten sie im Pfarrhaus gewartet, bis der Zug geordnet gewesen sei. Er selbst habe in weltlicher Kleidung und ohne Zeichen seiner geistlichen Würde an dem Festzug und den Feierlichkeiten in der Synagoge teilgenommen. Die israelische Gemeinde habe den Wunsch geäußert, dass der Bürgermeister einige Worte spreche. „Um unseren sehr achtbaren Bürgermeister, der aber vermöge seiner Bildung als Ackersmann nicht bereit und daher schüchtern ist, einige Worte öffentlich zu sagen, aus der Verlegenheit zu ziehen“, habe er stellvertretend für den Bürgermeister gesprochen. Seine Rede sei unvorbereitet gewesen und habe auch keine religiöse Seite berührt. Es sei ihm der Spruch über dem Eingang der Synagoge eingefallen: „Hier die Schwelle des Herrn, nur der Fromme und Gerechte soll sie betreten“. Er habe diesen dahingehend interpretiert, „dass nur der diese Prädikate verdiene, welcher die bürgerlichen Tugenden, Treue dem König, Liebe zum Vaterland, Gehorsam den Gesetzen, Eintracht mit seinen Mitbürgern, Redlichkeit, Arbeitsamkeit, Mäßigkeit und häuslichen Frieden ausübe, und dass ich im Namen der Gesamtgemeinde den Wunsch ausspreche, die israelitische Gemeinde möge durch jedesmalige Anschauung dieser Inschrift beim Eintritt in ihre Synagoge zur treuen Ausübung dieser Bürgerpflichten sich ermuntert fühlen“.

Das Ordinariat gab sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden, sondern zitierte Pfarrer Dibelius am 20. Dezember nach Speyer und befahl ihm, die Rede, aus dem Gedächtnis niedergeschrieben, mitzubringen. 31 Fragen musste der Pfarrer über sich ergehen lassen. Zuletzt erklärte er, er habe keine böse Absicht gehabt und keinen Indifferentismus geäußert. Seine Absicht sei es gewesen, Eintracht und Frieden in der Gemeinde festzustellen. Die Herren des Ordinariats hielten ihm „das Unkirchliche und Unziemliche“ seiner Teilnahme an dieser jüdisch-religiösen Feier vor und erteilten ihm einen mündlichen Verweis. In der kirchlichen Presse schlug das Ereignis bis Augsburg Wellen. Der dortige „Zion“ berichtete am 9. Dezember von der Einweihung. In schärfster Weise griff der Berichterstatter Pfarrer Dibelius an: „Herr Dibelius ist als Geistlicher eidlich verpflichtet auf die Lehre des Heils, welche die Juden verworfen haben und fortwährend verwerfen; er kann nicht heute eine Judensynagoge einweihen helfen und morgen seinen Pfarrkindern verkündigen, dass in keinem Anderen Heil sei als in Christo, ohne als ein doppelzüngiger Heuchler zu erscheinen“. Und: „Er (Dibelius) hat Ruhm geerntet bei den Juden und Judengenossen, natürlich auch bei kosmopolitischen Zeitungsschreibern“. Die königliche Regierung schaltete sich erst im Dezember 1838 in die Vorfälle ein, beharrte gegenüber dem Bürgermeisteramt aber nachdrücklich auf deren Klärung und wollte insbesondere wissen, wer die christlichen Lehrer zur Mitwirkung aufgefordert und das Läuten der Glocken veranlasst habe. Die Gemeindeverwaltung konnte (oder wollte verständlicherweise) keine vollständige Aufklärung bringen. Die Zeitungsmeldung, dass auch der protestantische Geistliche an der Feier teilgenommen habe, erwies sich im übrigen als falsch. Denn zu dieser Zeit war die protestantische Pfarrei verwaist und wurde durch Dokumente im Landesarchiv Speyer (Bestand H 3, Nr. 8196, 5 ff), dem Bischöflichen Archiv (Personalakte Dibelius) und dem Archiv der Gemeinde Mutterstadt sehr gut belegt (vgl. auch Karl Heinz Debus, Das Verhältnis der Juden zu den christlichen Religionsgemeinschaften S. 261 ff). Pfarrer Dibelius wurde auf eigenen Wunsch 1848 nach der „minder beschwerlichen“ Pfarrei Böhl versetzt, wo Dibelius noch 21 Jahre wirkte. Er starb dort am 27. November 1869.

Autor: Leonhard Sebastian, Jahrgang 1941, ist Lehrer an einem Gymnasium mit den Fächern Latein und Geschichte und langjährig kommunalpolitisch als Gemeinderat aktiv. Eingebunden in die Mutterstadter katholische Pfarrgemeinde beteiligte er sich als Co-Autor an der Publikation „200 Jahre Pfarrei St. Medardus Mutterstadt“ 1784-1984. L. Sebastian tätigte u.a. über den Pfarrer Dibelius entsprechende Aussagen, die in obigen Bericht festgehalten sind.

Fotos und Sonstiges, sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie, sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.

Für Schulen: Multiple-Choice-Fragen zu dem oben stehenden Artikel

- Mehrere Antworten können richtig sein -

Gegenüber welchen Religionsgemeinschaften war der katholische Pfarrer Dibelius ein außerordentlich toleranter Mann?

 
tolerant gegenüber Protestanten
 
tolerant gegenüber Juden
 
tolerant gegenüber Muslimen

 

Wie lautete der Spruch über dem Haupteingang der 1838 eingeweihten Synagoge?

 
Gehe hin Mose entgegen in die Wüste (2.Mose, 27)
 
Heiligt dem Herrn (2. Mose, 28, 37)
 
Hier die Schwelle des Herrn, nur der Fromme und Gerechte soll