3.2.5 Sie spielten mit ihrem Leben: Familie Johannes Unold versteckt einen Juden und fünf französische Kriegsgefangene
- Tochter Sonja Dzengel über das letzte Kriegsjahr 1945 -

Neben dem Dorfpolizisten Wilhelm Binder ist der Kommunist Johannes Unold zusammen mit seiner Familie in Mutterstadt der Einzige, der ganz konkret Gegnern und Verfolgte der Nationalsozialisten geholfen hat. Seine Familie und seine Schützlinge, ein Jude und fünf französische Kriegsgefangene, wären mit Sicherheit zum Tode verurteilt worden, wäre das Vorgehen des Johannes Unold bekannt geworden. [000]

Das Photo zeigt Sonja Dzengel, geborene Unold, 2. von links, im Gespräch mit Ruth und Alfred Dellheim 1994. Im Hintergrund, ganz links, Werner Dellheim und Bürgermeister Ledig, Mitte hinten, bei einem Empfang im Historischen Rathaus. Die Einladung an Frau Dzengel muss für diese eine Anerkennung der Richtigkeit der Handlungsweise ihrer Familie während der NS-Zeit bedeutet haben. [000]

Im Anwesen Bleichstraße 12 in Mutterstadt mit Zugang zum freien Feld Richtung Ruchheim (links) waren u.a. Fritz Dellheim, Vater von Ruth Külbs, versteckt. Treffpunkt von NS-Gegnern, im Regelfall der verbotenen Kommunistischen Partei angehörig, wurde u.a. von diesem Ort aus gegen die Nationalsozialisten agiert: Beispielsweise wurden im Puppenwagen der 9-jährigen Unoldschen Tochter Sonja, den diese schob, Farben transportiert, um auf Mutterstadter Straßen Anti-NS-Parolen aufzupinseln. [000]

Der Kommunist und Antifaschist Johannes Unold, geboren am 13.08.1895 in Mutterstadt, verstorben am 11.08.1979 in Mutterstadt. Bekleidet mit einer Lederhose und einem weißen Hemd trat ich am 01.08.1947 meine Lehrstelle bei der Firma Grünzweig und Hartmann an. Meine erste Arbeit war das Säubern einer Hotelbank. Sie musste eingeweicht und dann mit einer Ziehklinge sauber gekratzt werden. Nach 1-2 Stunden sah ich nicht mehr manierlich aus. Ein kleiner Mann kam vorbei und schaute mir zu. Dann fragte er mich, ob ich keinen Arbeitsanzug hätte? Ich verneinte! Er bestellte mich auf das Betriebsratsbüro, dort erhielt ich einen Gutschein und im Magazin einen "Blaumann". Dies war mein erstes Zusammentreffen mit Johannes Unold. Die meisten Arbeiter im Betrieb riefen nur "Hannes". Nachdem ich am 01.11.1947 Gewerkschaftsmitglied wurde und mich mit Jugendpolitik beschäftigte, trafen wir des Öfteren im Betriebsratsbüro oder bei Betriebsversammlungen zusammen. Unold war von Statur ein kleiner Mann, doch wenn er seine Stimme erhob klirrten die Fensterscheiben bis vor ins Hauptbüro, wo die entnazifizierten Herren Fernholz, Klingholz u.a. bereits wieder regierten. In meiner Jugendarbeit kam ich auch mit Sonja in Berührung und erfuhr so, wer ihr Vater war. Seit dieser Zeit kam ich öfters mit Sonja zusammen, das war 1948/49 und so erfuhr ich auch einiges über das Schicksal Mutterstadter Juden, wie ich es in meinem Buche "Pfälzer Juden und IG – Farben 1988" niedergeschrieben habe. In diesem Zusammenhang sollte man auch jener Menschen gedenken, die nicht im Gleichschritt durch Mutterstadt marschierten, die sich nicht an Überfällen und Brandstiftungen beteiligten, die sich nicht an jüdischem Eigentum bereicherten und die in der Zeit des "Heldengetümmels" einfache Menschen blieben und doch zu wahren Helden wurden. Denn die Familie Unold war die einzige Familie in Mutterstadt, die Juden aktiv beschützte. So wurde Johannes Unold zum Lebensretter des Juden Fritz Dellheim und des auswärtigen Juden Leppla, die er in seinem "Erdloch" unter der Küche versteckt hielt. Dieses "Erdloch" ist ca. 12 m hoch, 2 m breit und 3,20 m lang. Unerschrocken vor der Gefahr, Gestapo, KZ, oder Schlimmeres half die Familie Unold den verfolgten Menschen. Getreu des proletarischen Internationalismus. Daneben gibt es eine Reihe von französischen Kriegsgefangenen, die der Familie nach 1945 für ihre Unterstützung dankten, mit Namen und Heimatanschriften. Ein Baum im Yad Washem, den Gerechten dieser Welt gewidmet, oder eine kleine Gedenktafel am Hause der Nachkommen in der Bleichstr. 12, wäre angebracht um auch diesen Patrioten wieder ein Gesicht zu geben zur Erinnerung an mutige Bürger und Gegner des Faschismus.

Das angesprochene "Erdloch" existiert 2002 immer noch. Die damals praktizierte Tierhaltung in den dazu geeigneten Anwesen bedingte das Vorhaben von Heu und Stroh, die laut der Unold´schen Tochter Sonja ebenfalls als Versteck dienen musste. Es ist wahrscheinlich, dass die Tatsache u.a. der Verstecke der drei Kriegsgefangenen, zusammen mit der damit verbundenen Feuereinstellungen bei den Kapitulationsvorgängen am 21.03.1945 die siegreiche US-Armee davon abhielt, Mutterstadt in Schutt und Asche zu legen. [000]

Sonja Dzengel, die als 21-Jährige den Einmarsch der US-Armee von Ruchheim kommend von ihrem am Ortsrand nach Ruchheim liegenden Haus beobachtete, hisste die rote kommunistische und die weiße, die Kapitulation anbietende Fahne an ihrem Haus. Obiges Zertifikat sollte notwendige Gespräche mit der Besatzungsmacht in der Nachkriegszeit erleichtern. [000]

Vorbemerkung:

Sonja Dzengel, Tochter des Johannes Unold, wegen ihrem scharfen Verstand, ihrer Hilfsbereitschaft und letztlich auch wegen ihrer standhaften, niemals fanatischen politischen Überzeugungen war eine angesehene Persönlichkeit in Mutterstadt. Nachstehende Äußerungen, als Auszug aus einer Gedenkrede anlässlich des 40. Jahrestages zum Kriegsende 1945, lassen einen Überblick zu, wie sich die Konfrontation zwischen Nationalsozialisten und ihrer Gegner in Mutterstadt abspielten.

Sehr lange habe ich mir überlegt wie ich meine Erzählung beginnen soll. 40 Jahre Befreiung vom Hitlerfaschismus! 40 Jahre Frieden! Ich möchte etwas zurückgreifen und im Telegrammstil vor der Machtübernahme Hitlers beginnen.

Mitte bis Ende 1932 waren es Kommunisten, die warnend den Finger hoben und sagten: "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler und wer Hitler wählt, wählt den Krieg." Sie wurden ausgelacht und verhöhnt. Aber wie recht die Genossen damals hatten, bewies sich sieben Jahre später: Vor der Wahl Hitlers, damals war ich fast neun Jahre alt… Den Farbtopf im Puppenwagen zog ich mit meinem Vater, den Genossen Hetterich, Batzler, Haag, Geib, Gräf, um nur einige stellvertretend für alle zu nennen, in bestimmte Straßen und die Genossen malten in großer Schrift auf die Straße: "Wer Hitler wählt, wählt Krieg! Die Polizei, Gendarmen und die Braunhemden waren hinter den Genossen her, wie der Teufel auf eine arme Seele.

Aber die Genossen ließen sich nicht erwischen! Im Januar 1933 kam Hitler an die Macht und ein großer Teil der Bevölkerung kam in den Sog dieser Macht. Alle Warnungen, Flugblätter und Mahnungen halfen nicht. Die ersten Christen, Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten kamen in so genannte Schutzkraft und wurden dann nach Dachau transportiert. Die damaligen vier Millionen Arbeitslosen wurden in Kolonnen zum Straßenausbau und Autobahnenbau bestimmt.

Ich weiß noch, wie die Genossen erzählten: "Das ist der Beginn des 2. Weltkrieges!" Den 9. November 1938 werde ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen. Es war die "Reichskristallnacht", der Höhepunkt, um den Juden den Garaus zu machen. Hier in Mutterstadt steckte man die Synagoge an, sie stand auf dem heutigen Kegelgrundstück in der Oggersheimer Str. gegenüber dem heutigen Möbelhaus Defren.

Die jüdischen Geschäftshäuser wurden geplündert, Scheiben eingeschlagen, Federbetten aufgeschlitzt und zum Fenster herausgeschüttet. Es ist unglaublich gewesen, aber wahr und einige Mutterstadter, die die meisten Schulden bei den Juden hatten, waren die ersten, die sich an Stoffen und Bekleidung, Haushaltsgegenständen u.s.w. vergriffen und plünderten. Man weiß heute noch, dass das Benzin von SA-Männern an der Tankstelle Müller gezapft wurde und die Synagoge in Brand gesteckt wurde. Der evangelische Pfarrer Bähr wurde verhaftet, weil er sagte: Ein Gotteshaus zündet man nicht an! Ein Jahr später war es dann soweit. Am 1. September 1939 Mobilmachung. Hitler erklärte Frankreich den Krieg. Ich erinnere mich noch sehr gut, als wir an der Pforte standen und den Soldaten winkten, die nach Frankreich marschierten. Damals gingen viele mit Tränen in den Augen nach Hause. Nun es folgte Schlag auf Schlag, auch die Judenvernichtung wurde vorangetrieben. Man hörte zaghaftes Geflüster über KZ-Lager in Buchenwald und Auschwitz, von Vergasung der Juden.

Sehr gut kannte ich die Familie Julius Dellheim und die Kinder Alfred und Tilly. Alfred konnte den SS Schergen entkommen. Er war so alt wie ich und ein Schulkamerad, er lebt heute in der DDR. Die Eltern und seine Schwester wurden in Auschwitz vergast.

Wir, das heißt, meine Eltern versteckten über Jahre den Juden Fritz Dellheim in einem kleinen Kellerloch unseres Hauses und somit überlebte er den Krieg. Am 1. Februar warfen die Amerikaner und Engländer Bomben auf Mutterstadt. Es gab noch keine 100 m von unserem Haus im Luftschutzkeller Massott/Ipson auf einen Schlag 64 Tote. Darunter liebe Menschen, die ich sehr verehrte, und meine Freundin, Else Ipson. Es wurden Verletzte geborgen, diesen Abend und die Nacht ist unvergessen in meinem Gedächtnis. Auch in der Oggersheimerstraße/Schulstraße gab es Tote und ausgebombte Häuser. Eine oder mehrere Kompanien Soldaten waren in Mutterstadt einquartiert, sie sollten Panzersperren aufstellen.

Auch in meinem Elternhaus sollte ein Maschinengewehr aufgestellt werden. Wir waren das letzte Haus in Richtung Ruchheim. Ich weiß heute nicht mehr, wo ich den Mut und die Frechheit her hatte, den Soldaten zu trotzen. Mein Vater war beim Volkssturm in der Hinterpfalz. Mein Bruder war beim Volkssturm im Ort und musste auf den Feldern Gräben ausheben. Jedenfalls gelang es mir, die Soldaten aus meinem Haus fern-zuhalten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich einen Juden, zwei Halbjuden und drei französische Kriegsgefangene im Stall versteckt, unter Heu und Stroh und im "Kellerloch". Ich zitterte an Leib und Seele. Gegen Abend kamen wieder die Soldaten zum Kampf bereit. Wieder gelang es mir, die Soldaten, zu überzeugen, dass der Krieg verloren sei und die amerikanischen Panzer bereits in Ruchheim ständen. Nach langen Diskussionen verteilten sich die Soldaten in die Häuser. Meine Nachbarinnen gaben Zivilkleider und so warteten wir, bis die Panzer näherrückten und über die Felder in unsere Straße kamen. Der Krieg war für uns zu Ende.

Dank sei den drei Franzosen, die den Befreiern klar machten, dass Kommunisten sie aufgenommen hatten. Schon vorher hissten wir die Rote und eine weiße Fahne. Mein Vater setzte sich ebenfalls vom Volkssturm ab und kam nach Hause. Nun war ich nicht mehr alleine. So das war der 21. März 1945.

Nun dürft ihr nicht glauben, dass die alten Genossen ihre Hände in den Schoß legten. Der Alltag ging weiter. Die Soldaten wurden aufgerufen, sich auf dem Turnplatz zu melden und alle Waffen wurden eingesammelt. Die Bevölkerung hatte in den ersten Tagen am Vor- und Nachmittag zwei Stunden Ausgehzeit, später war Sperrstunde um 20 und dann um 22 Uhr. Jeder Bürger erhielt einen Ausweis und konnte die Arbeit wieder aufnehmen. Der Alltag hatte wieder begonnen.

Die Kommunisten waren die ersten, die die Gewerkschaften neu begründeten. Es gab viele kommunistische Betriebsräte. Immer waren die Kommunisten die Aktivisten und alle haben geschworen, ihre Kraft einzusetzen und den Frieden zu erhalten. Nie wieder darf von deutschem Boden aus ein Krieg begonnen werden. Niemals den Himmel zur Hölle machen, dafür wollen wir mit allen friedliebenden Bürgern unsere Kraft geben und den Frieden verteidigen.

Danke!

Autorin: Sonja Dzengel, Jahrgang 1924, ist die Tochter von Johannes Unold, also derjenigen Familie, die in ihrem Haus, während der NS-Zeit Juden versteckt hat. Überzeugte Kommunistin, führte sie als Vorsitzende die Ortsgruppe der Mutterstadter KPD. In der Nachkriegszeit thematisiert sie, oftmals gegen den Zeitgeist, immer wieder die Notwendigkeit gegen neofaschistische Tendenzen vorzugehen. Sie starb als angesehene Bürgerin 1994.

Fotos und Sonstiges, sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie, sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Siehe Quellennachweis Titel 9 (Nr. 000)

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- Mehrere Antworten können richtig sein -

Gab es Familien in Mutterstadt die Juden und Kriegsgefangene versteckt haben?

 
nein, war viel zu gefährlich
 
ja, die Familie Johannes Unold
 
es gab einige Familien

 

Die Kommunistische und Sozialdemokratische Partei, die Katholische- und die Protestantische "Bekennende Kirche", auch biberale- und konservativ denkende Persönlichkeiten waren NS-Gegner. Wie nannte man diese Gruppe von Menschen?

 
Hitlerleute
 
Antifaschisten
 
Gegner der Nationalsozialisten

 

Wann kapitulierte Mutterstadt vor den anrückenden US-Streitkräften?

 
9. Mai 1945
 
21.03.1945
 
7. August 1945