5.1.4 Der Synagogenbrand 1938
- Bericht des Zeitzeugen Hermann Magin -


Die brennende Synagoge von Mutterstadt, 1938 [000]

Vorbemerkung:

Diesen Bericht muss man im Zusammenhang mit den beiden vorausgegangenen Berichten des Autors Hermann Morweiser, Ludwigshafen, und dem direkt von der Haft im Konzentrationslager Dachau betroffenen Autors Ernest Loeb, New York, sehen. Loeb und Magin waren direkte Augenzeugen der Niederbrennung der Synagoge. Addiert man noch den Augenzeugenbericht von Ruth Külbs geb. Dellheim hinzu, die als 16-Jährige die Ausplünderung des Textilhandels Löb in der Schul-, Ecke Rheingönheimer Str. erlebte, ergibt sich ein Bild, in welchem Ausnahmezustand sich die Mutterstadter Bevölkerung zum damaligen Zeitpunkt befand.

Der Ausnahmezustand bestand dahingehend, dass ganz "normale" Bürgerinnen und Bürger sich von der nationalsozialistischen Ideologie, oder der "Neuen Zeit", wie dies auch genannt wurde, ermutigt, sich von rechtsstaatlichem, mitleidorientiertem Verhalten entfernt hatten.

durch eine rassenideologische Verhetzung der Bevölkerung einerseits und die Faustrechtmentalität der NS-Aktivisten, die die Straßen ungestraft beherrschten, andererseits. Hätten nicht die Opfer selbst, allen voran Ernest Loeb und Ida Löb, in späteren Briefen aus Amerika, der protestantische Pfarrer Bähr Partei ergriffen und ein Mutterstadter "Arier" Johannes Unold durch Verstecken mehrere Menschen vor dem NS-Regime gerettet oder Hermann Magin mit diesem Bericht nachgewiesen, dass es in Mutterstadt gar nicht so wenige Menschen gab, die dem Regime indifferent gegenüberstanden oder es gar ablehnten, müsste man einen generell fehlenden Gerechtigkeitssinn der Bevölkerung unterstellen. Das war nicht der Fall.

Lassen wir jetzt Hermann Magin zu Wort kommen:

Ich kann mich an diesen Tag noch gut erinnern.

Die 1904/05 gebaute Synagoge ist noch vielen älteren Mutterstadtern als ein würdiger Kirchenbau in Erinnerung. Das Bauwerk wurde anlässlich der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 durch Nationalsozialisten in Brand gesetzt und zerstört.

Als ich am Morgen des 10. November 1938 vom Notariat geschäftlich zur Sparkasse gehen musste, war ich überrascht, etwa 70 m von der Synagoge entfernt eine Menschenansammlung zu sehen, die den Brand verfolgte. Ich schaute auch sofort hin und erlebte, wie gerade die Vorderfront des Gebäudes auf die Straße stürzte.

In unmittelbarer Nähe der brennenden Synagoge waren nur wenige Leute, denn wer sich anbot, beim Löschen zu helfen, wurde von den Nazis, die sich um die Synagoge zu schaffen machten, fortgejagt. So erging es beispielsweise auch meinem Cousin, August Magin, der mit dem Fahrrad unterwegs war, seine Hilfe anbot, die Feuerwehr alarmieren und die Kirchenglocken läuten wollte, wie dies bei solchen Unglücksfällen üblich war.

Er wurde aber belehrt, dass es ihn nichts angehe, was hier geschehe und er sich auf dem schnellsten Wege fortschaffen solle. Ich war damals 16 Jahre alt und sehe diese Bilder, die brennende Synagoge und die Menschenmenge noch heute vor mir, als ob es erst vor kurzem passiert wäre.

Am meisten hat mich dann der Zug der Juden, die die Nazis durchs Dorf führten, beeindruckt. Sie waren verstört, schauten verzweifelt und hilflos um sich und erregten bei den Betrachtern tiefes Mitgefühl. Ich habe mich geschämt und musste denken: Wer von diesen armen Menschen soll denn eine Gefahr für uns sein? Die sind doch total am Ende und begreifen nicht, dass Hunderte von Menschen, mit denen sie Jahrzehnte gut und friedlich zusammengelebt haben, sich plötzlich von ihnen abwenden und sie befeinden.

In dem Buch "Die Pfalz unterm Hakenkreuz" ist die Zerstörung der Synagogen in der Pfalz eingehend beschrieben. Soweit hier jedoch auf Seite 339 hinsichtlich dieser Aktion in Ludwigshafen ausgeführt ist, dass eine johlende Menge den Zug der Juden begleitet hat, möchte ich hinsichtlich meiner Beobachtungen in Mutterstadt klarstellen: Ich habe keinen johlen hören. Die Menschen, denen ich begegnet bin, waren erschreckt und betroffen.

Autor: Hermann Magin, Jahrgang 1922, in Mutterstadt geboren, lebt in Speyer. Dort, ehemaliger Stadtrat, publizierte er u.a. über Kriegsgeschehnisse und eine Dokumentation mit dem Titel "Die Mutterstadter Juden und ihre Verfolgung", 2000. Das Unrecht der nationalsozialistischen Herrschaft und wichtige Erkenntnisse als Zeitzeuge aufzuzeigen, ist sein Anliegen. Hermann Magin ist Mitglied der 2 Bürgeraktionen.

Fotos und Sonstiges, sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie, sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Siehe Quellennachweis Titel 9 (Nr. 000)

Für Schulen: Multiple-Choice-Fragen zu dem oben stehenden Artikel

- Mehrere Antworten können richtig sein -

Durch welche Handlungen war die so genannte Reichskristallnacht gekennzeichnet?

 
Synagogenniederbrennung
 
Geschäftsplünderung
 
Verhaftung jüdischer Männer

 

Wie hat sich die nichtjüdische Bevölkerung über die Ereignisse, die unter dem Namen "Reichskristallnacht" bekannt sind, verhalten?

 
NS-Aktivisten gehen rücksichtslos vor
 
die meisten waren darüber betroffen und nachdenklich
 
die Nichtjuden haben sich gefreut und mitgeholfen

 

Wie viele jüdische Menschen wurden nach dem 10.11.1938 in Konzentrationslagern gesperrt?

 
ca. 1000 Juden
 
ca. 20 000 Juden
 
alle jüdischen Männer