8.2.1 Gedenkrede zur Gurs-Deportation am 23.10.2000 in der protestantischen Kirche als Arbeitsgrundlage für die 1. und 2. Bürgeraktion
– Die Pfarrer Schwarz und Matt sowie Herbert Metzger definieren die Ziele

Das obige Schreiben fokussiert die wichtigsten Ziele der Mutterstadter Bürgeraktionen zu Ehren der ehemaligen jüdischen Gemeinde. Zum Redebeitrag: Metzger gibt einen Abriss über Art, Umfang und Qualität der Aussöhnung zwischen Mutterstadt und seinem ehemaligen jüdischen Bevölkerungsteil und deren Nachkommen. Er geht kritisch mit den relevanten Aussagen in der offiziellen Ortschronik ins Gericht und fordert, den damaligen 52 Opfern durch Platzierung einer Namensgedenktafel wieder einen Namen, ein Gesicht, eine Geschichte zu geben. In einem ökumenischen Gottesdienst am 23.10.2000 in der sehr gut besuchten protestantischen Kirche ruft er dem Auditorium zu: „… es geht um Gerechtigkeit, ich wiederhole dieses kostbare Wort, Gerechtigkeit…“ [000]

Meine Damen und Herren,

als Vertreter des Historischen Vereins, dessen Gründungsvorstand zu sein ich mich rühmen darf, erlaube ich mir den Hinweis, dass sich unser Verein seit seiner Gründung 1980 u.a. mit der Aufarbeitung der Geschichte seiner ehemaligen jüdischen Bürger beschäftigt hat.

Dies fand u.a. seinen Niederschlag:

  1. In der Dokumentation relevanter Fakten, über diese Bürger im Museum für Ortsgeschichte (MfO), im Historischen Rathaus.
  2. Weiterhin in der Anstrengung, dafür Sorge zu tragen, mit der Hilfe des ehemaligen Pfarrers Zumstein von der Protestantischen Kirche und des Gemeinderats im Ehrenhof des Neuen Friedhofes eine Gedenktafel zu platzieren, die im Aussehen und Format den übrigen Tafeln gefallener und vermisster Deutscher Soldaten gleicht. Eine sehr wichtige Anstrengung von Mutterstadter Bürgern, den Komplex „Bürger jüdischen Glaubens“ als Gesamtes aufzuarbeiten, kam im Sinne von Unterstützung dabei von der Protestantischen Kirche mit dem engagierten Pfarrer Zumstein.
  3. In der Vitrine „Religiöse Gemeinschaften“ im Museum für Ortsgeschichte (MfO), in der die jüdische Religionsgemeinschaft als gleichberechtigt mit der protestantischen und katholischen Religionsgemeinschaft dargestellt wird. Dies u. a. durch die Platzierung einer Bibel, eines Heidelberger Katechismus und einer bemantelten Tora, die mit Hilfe der Jüdischen Gemeinde Mannheim durch Herrn Stern aus Polen beschafft und von meiner Seite als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt wurde.
  4. In der Durchführung einer ökumenischen Gedenkfeier 1998 auf Einladung der protestantischen und katholischen Kirche anlässlich des 60. Jahrestages der so genannten Reichskristallnacht. Die schriftliche Dokumentation, die auch den Pfarrern Matt und Schwarz vorliegt ist übrigens im Washingtoner Holocaust – Museum mit Archivnummer zu Forschungszwecken hinterlegt.
  5. In der Verpflichtung, Kontakt zu halten zu Überlebenden und Nachkommen der Deportierten und Ermordeten. Dies bis zum heutigen Tag.

Dies ist nur ein Teil unserer bisherigen relevanten Aktivitäten.

Eines der Ziele unseres Vereins ist es, sicherzustellen, gewonnene geschichtsbezogene Erkenntnisse, auch soweit sie Mutterstadt betreffen, dazu zu nutzen, die Gegenwart und die Zukunft unseres Gemeinwesens wachsam zu beobachten und zu begleiten, was u. a. auch für die Thematik des heutigen Tages wichtig ist.

Dies als Hintergrund. So stellt sich für uns die Frage, wie man die 60. Wiederkehr der Deportation unserer ehemaligen Mitbürger in Bezug auf die Betroffenen in Würde begehen kann und in welcher Form wir ihrer auf Dauer gedenken können.

  1. Wir wenden uns gegen die Verniedlichung der Geschichte unserer jüdischen Mitbürger in der Ortschronik, deren Erstauflage in der Nazizeit, die 2. jedoch 1967 erfolgte. Lassen Sie mich aus der 106 DIN A Seiten langen Magin’schen Schrift „Die Mutterstadter Juden und ihre Verfolgung“, erschienen in diesem Jahr, zitieren: So heißt es im ersten Absatz des Abschnittes DIE JÜDISCHE GEMEINDE ZU MUTTERSTADT:

    „Seit 1722 wohnten zu Mutterstadt auch Juden, im 18. Jahrhundert nur in geringer Zahl, im 19. Jahrhundert bis auf 171 Personen ansteigend, dann wieder abnehmend, um im 20. Jahrhundert wieder aus dem Dorf zu verschwinden“. „Verschwinden“ heißt, dass man seinen eigenen Willen betätigt, um sich von einem Ort zu entfernen. So war es aber nicht, wie sich jeder überzeugen konnte. Die 52 Juden, die 1940 noch da waren, wurden zwangsdeportiert, zur Ermordung fortgebracht. Wenn es in Frankreich keine Netzwerke zur Rettung verschleppter Juden gegeben hätte, wären alle umgekommen. So sind wenigstens einige gerettet worden.

    Wenn dann im nächsten Satz gesagt wird: „Das Schicksal der jüdischen Gemeinde Mutterstadt erfüllte sich wohl erst im Oktober 1940“, so liest sich dies, wie wenn da eine überirdische Macht eingegriffen hätte. So war es aber nicht.Denn die Macht, die eingegriffen hat, war irdisch und sehr brutal.

    Im Schlusssatz des Abschnittes heißt es, dass von den nach Gurs Deportierten wie den übrigen Auswanderern nach dem Krieg so mancher die Verbindung mit Mutterstadt wieder aufgenommen hat.

    Es fehlt hier der Hinweis, dass über zwei Drittel verhindert waren, weil sie in Auschwitz vergast worden oder wegen der gesundheitsschädlichen Lagerbedingungen vorzeitig gestorben sind.

    Ich persönlich begrüße ausdrücklich die Schlussfolgerungen und die Wortwahl von Hermann Magin. Ich füge hinzu, dass es, um es nochmals zu sagen, diese Verniedlichungen der Ereignisse sind, dass das, wie ich meine, vornehme, indifferente, semantische Formulieren von Intellektuellen wie Martin Walser, der den Umgang mit dem Wort „Vernichtungslager Auschwitz“ als „Moralkeule“ bezeichnet, sowie die verdrängenden Stammtischäußerungen sind, wie „….es ist genug mit dem Judenkram….“, die die Neonazis ermutigen, auch heute wieder u. a. gegen diese Bürger vorzugehen.

    Ich möchte noch einen Fakt hinzufügen:

    In der 1232-jährigen Geschichte Mutterstadt hat es ein vergleichbares Verbrechen an Mitbürgern nicht gegeben!

  2. Als weitere konkrete Maßnahme habe ich mir als Vorstandsmitglied des Historischen Vereins erlaubt, dem Vorstandsvorsitzenden, Herrn Becker, nachstehenden Antrag zu stellen, um mit Hilfe der Gemeindeverwaltung und dem Gemeinderat eine auf Dauer angelegte Gedenkmaßnahme durchzuführen. Diesen Antrag erlaube ich mir wie folgt zu verlesen: Anlässlich der Gurs-Deportation von 52 ehemaligen Mutterstadtern jüdischen Glaubens am 22.10.1940 soll durch den Gemeinderat beschlossen werden, ein Mahnmal zu errichten, das die Namhaftmachung der Deportierten zum Inhalt hat und dreifach gegliedert ist
    1. für die im Lager Gurs umgekommenen Bürger
      = 14 Personen
    2. für Bürger, die über Drancy (bei Paris) in das Todeslager Auschwitz (bei Kattowitz/Polen) transportiert und dort vergast wurden bzw. verstorben sind.
      = 22 Personen
    3. für Personen, die die Freiheit erlangt haben
      = 15 Personen
      Namen gemäß der Namenslisten nach Recherchen von Hermann Magin, Speyer, einem gebürtigen Mutterstadter.
    4. Nach Wahl des Gemeinderates sollen die Namen, die Geburts- und die Todestage auf gegossenen/behauenen Steinen, Dimension 10cm hoch, 20 cm breit, Tiefe nach Wahl, auf deren Längsseiten, also im Format 10 x 20 cm, als Relief hervortreten. Die Steine sollen dann in eine 24 cm starke ca. 1,20 m hohe Begrenzungsmauer des Jüdischen Friedhofes, in einer Weise eingemauert werden, dass diese ca. 6 cm zur Pfalzring – Straßenseite hin, hervorstehen. Umseitiger Abstand der Gedenksteine: ca. 10 cm.
    5. Diese Anordnung würde es ermöglichen, bei Besuch des Friedhofes, kleine Erinnerungssteine auf dem Vorsprung zu platzieren, was jüdischer Brauch ist und die Toten ehrt. Den Namensteinen zuzuordnen und somit in das Mahnmal einzubeziehen ist eine gegossene Metalltafel, oder vergleichbar, auf der mit erhabenen Buchstaben und Ziffern folgender Text aufgenommen werden soll:
    6. „Die Bürger von Mutterstadt ehren mit der Namhaftmachung der am 22.10.1940 nach Gurs deportierten Mitbürger jüdischen Glaubens die gesamte jüdische Gemeinde, die von 1722 bis 1940 hier lebte.
    7. Weiterhin soll der Gemeinderat prüfen, ob nicht mit der katholischen und protestantischen Kultusgemeinde, vertreten durch die Pfarrer Matt und Jung, zwecks finanzieller Unterstützung der Maßnahmen Kontakt aufgenommen wird.
    8. Im Rahmen einer Kollekte und einer davon unabhängigen Unterschriftenliste würde es den Mutterstadtern Bürgern ermöglicht werden, sich mit den Deportationsgedenkmaßnahmen zu solidarisieren.
    9. Im gleichen Sinne ist die übrige Bevölkerung durch eine öffentliche Bekanntmachung zu einer Spenden – Beteiligung und unabhängig davon zu einer Solidaritätsunterschrift aufzurufen.
    10. Die Meinung der Jüdischen Gemeinde Rheinland-Pfalz, Neuststadt an der Weinstraße, Herr Kindermann, ist einzuholen.
    11. Der Beschluss des Gemeinderates soll anlässlich der 60. Wiederkehr des Deportationstages (22.10.1940) gefasst werden und unter dem Hinweis, dass es sein Wille ist, ein Zeichen zu setzen gegen den wieder aufflammenden Antisemitismus und mit dem Wunsch, sich in demokratischer, antinazistischer und liberaler Weise zu distanzieren.
    12. alternativ wie vor, jedoch soll die Platzierung des Mahnmals im Innern des Ehrenhofes des Neuen Friedhofs an der Mauer zum Pfalzring hin erfolgen.
    13. Ein Gremium aus je einem Vertreter der im Gemeinderat vertretenen Fraktionen und Parteien, der Gemeindeverwaltung, der katholischen und protestantischen Kirche und des Historischen Vereins soll gebildet werden, um Weiteres festzulegen.

Ich kann mir vorstellen, sehr geehrte Damen und Herren, dass es für Sie von einigem Interesse ist, zu wissen, was aus den Überlebenden bzw. deren Nachkommen geworden ist. Unser Verein hat sich in der Vergangenheit mit den Nachkommen bzw. Überlebenden in Verbindung gesetzt. So hat meine Familie und meine Person darüber hinaus, auch als Privatpersonen, diese Verbindungen gepflegt und aufrechterhalten. Dies mit der Unterstützung der hiesigen Familien Külbs und Frühling, die jüdische Wurzeln haben, der Gemeindeverwaltung, vertreten durch den Bürgermeister Ewald Ledig, dem 1. Beigeordneten Konrad Heller und dem Geschäftsführenden Beamten Volker Schläfer sowie der Landtagsabgeordneten, Frau Hannelore Klamm, die sich als unsere gewählten Vertreter bei entsprechenden Besuchen der Familien

Enrique Loeb, Chile/Argentinien,

Werner Dellheim, Florida/USA und

Heinz Eppler, Aspen/New York/USA

in bevorzugter Weise der Gastfreundschaft den Gästen gegenüber befleißigt haben.

Zu den zuvor genannten Persönlichkeiten jüdischer Herkunft ist noch Herr Ernest Loeb zu nennen, der durch meine Seite, im Auftrag des Historischen Vereins, in New York/Manhattan, West-Side, besucht wurde.

  • Ernest Loeb, zwischenzeitlich verstorben, zeichnete sich durch seine Verbundenheit mit Mutterstadt u. a. dadurch aus, dass er in einer regen, sehr informativen Korrespondenz mit der Gemeindeverwaltung und dem Historischen Verein stand. Er zeichnete sich auch durch seinen noblen Charakter aus, manifestiert dadurch, dass er es als US-Soldat, 1945, seinen US-Army-Vorgesetzten gegenüber ablehnte, in Mutterstadt den alliierten Naziverfolger zu spielen. Weil es als Zeichen seiner Verbundenheit gelten muss, möchte ich unter keinen Umständen seinen erschütternden Emotionsausbruch verschweigen. Dies mir, einem Mutterstadter, gegenüber, der mit dem Bedürfnis und im Namen von Mutterstadt angereist war, seine Bewunderung auszudrücken,. Seine Worte: „…dass ein Mutterstadter den Weg hierher gefunden hat …“ erstarben in Tränen. Ernest ist immer ein Mutterstadter geblieben!
  • Enrique Loeb, mit seiner aus Ostpreußen stammenden Frau Ilse, die sich in Argentinien und Chile ein neues Leben aufgebaut haben, hat nie seine Dankbarkeit verborgen, dass es in Mutterstadt Menschen gibt, die sich mit der jüdischen Vergangenheit nachhaltig beschäftigen. Er ist es auch, der seinen in Schorndorf lebenden Sohn Rene und dessen Familie bestärkt, mit den Mutterstadtern „im Gespräch zu bleiben“. Herr Loeb und seine Familie besuchen uns in den nächsten drei Wochen. Enrique Loeb ist zwischenzeitlich altersbedingt sehr erkrankt und wird in Buenos Aires gepflegt.
  • Werner Dellheim verschlug es nach 1938 zu seiner Familie zunächst nach Argentinien, dann nach Chicago/USA, um dann im Rentenalter eine erfolgreiche Vollblutpferdezucht in Ocala/Florida/USA aufzubauen. Nach dem Krieg hat er eine Mutterstadterin, Alma Grübel, aus der Dannstadter Straße, geheiratet. Verwandt mit der hier noch lebenden Ruth Külbs und Isolde Frühling, beide geborene Dellheim, besucht er zusammen mit seiner Frau und seinen Söhnen Ralf und Norman des Öfteren Mutterstadt.
  • Alfred (Fred) Dellheim ist zusammen mit seinem Cousin Werner Dellheim vor der so genannten Reichkristallnacht durch ein jüdisches Netzwerk ins Ausland gebracht worden und hat überlebt.Fred Dellheim lebt heute in Berlin-Ost, nachdem er 1946 als US-Soldat nach Deutschland kam und sich für eine DDR-Bürgerschaft entschieden hat. Er ist auch als Publizist aktiv und ist Vorsitzender des Verbandes der Verfolgten des Naziregimes. Seine Tochter Judith Dellheim wurde am vergangenen Wochenende in den PDS-Vorstand (PDS = Partei der demokratischen Sozialisten) gewählt. Fred Dellheim war mit seiner Frau Gast in unserer Weinstube „Zur Fröhlichen Pfalz“ in Berlin – Niederschönhausen, wo ich die Gelegenheit hatte, im Sinne des Historischen Vereins, die Aktivitäten, in Bezug auch auf seine Familie, zu erklären.

    Die Weinstube ist Teil von Galerie- und Kulturtreffräumlichkeiten in Berlin Pankow – Niederschönhausen, im ehemaligen Diplomatenviertel der DDR. Meine Familie und die Familie meines Bruders Rainer bringen dort Bürger aus philantropischen Überlegungen zusammen. Unter dem Motto „Menschen aus OST und WEST kommen zusammen“ soll ein privater Beitrag zur Völkerverständigung geleistet werden.

    Dies als eine Art „Dankeschön“ für die unternehmerischen Möglichkeiten, die uns die Bundesrepublik gibt. In der dortigen Solitaire-Galerie stellen auch jüdische Künstler und Künstler aus Israel aus.

Zuletzt ist noch Heinz Eppler zu nennen, der aus einer Viehhändlerfamilie in der Neustadter Straße, gegenüber dem Früchtehaus Müller, stammt. Heinz wurde zusammen mit seinem Bruder Kurt, vergleichbar mit den Dellheim – Cousins, durch das besagte jüdische Netzwerk ins Ausland gebracht. Während sein Großvater Isidor in Gurs zu Tode kam, konnte er sich noch vor dem Kriege mit seinen Eltern in der Nähe von Chicago wiedervereinen.

Die Brüder Eppler konnten eine Textilwarenkette aufbauen, die zuletzt an der NYSE, der New Yorker Börse notiert war, bevor sie in den 80er Jahren verkauft wurde.

Heinz Eppler ist Ex-Präsident des JJDC dem Jewish Joint Distribution Committee, welches mit einem beachtlichen Jahresetat ausgestattet zur Aufgabe hat, weltweit jüdischen Familien zu helfen und, wenn nötig, diese auch in Sicherheit zu bringen. Heinz Eppler, der sich erst nach langem Werben des Historischen Vereins entschloss, wieder eine positive Haltung zu Deutschland und zu Mutterstadt einzunehmen, hat, wie die meisten wissen, vor zwei Jahren Mutterstadt besucht. Für die Familien Dellheim und Eppler hat meine Seite zwei emotional beeindruckende Freundschaftsfeste, eines im „Ratskeller Deidesheim“ und ein anderes in Form eines Gartenfestes in meinem Haus „An der Fohlenweide“, zu Ehren dieser Familien durchgeführt. Beachtlich dabei ist, dass diese unter bewusster Teilnahme von Mutterstadter Persönlichkeiten aller politischen Richtungen und Wirkungsbereiche stattfanden, die als repräsentativer Querschnitt unserer Bevölkerung gelten müssen.

Durch die Verbindungen, die Heinz Eppler u. a. wegen seiner besagten Funktion als Ex-Präsident des JJDC hatte, wurde meiner Seite, auch als Privatpersonen wie auch als Vertreter des Historischen Vereins, der Zugang zu der jüdischen Gemeinde in Aspen/Colorado/USA, herausragendes Mitglied eine Frau Harriet Zimmerman, eröffnet.

Frau Zimmerman ist Wahlhelferin von Präsident Bill Clinton. Wahlhelferin im amerikanischen System bedeutet, dass eine vierstellige Zahl von einflussreichen Persönlichkeiten, zusammen mit Präsidentschaftskandidaten, die Politik der USA verbindlich festlegen. Harriet war, bestens informiert durch Ruthe und Heinz Eppler, vertraut mit dem, was den Epplers hier in Mutterstadt und in Mainz bei einem Empfang des Landtages Rheinland – Pfalz, „zugestoßen“ war: Der Ministerpräsident Beck nahm sich persönlich die Zeit, die Delegation aus Mutterstadt und natürlich die Familie Eppler zu begrüßen.

Harriet konnte mir nicht oft genug versichern, und das will ich an Sie, meine Damen und Herren, heute Abend weitergeben, wie wichtig und wohltuend es die jüdische Gemeinde in den USA als Ganzes empfindet, wenn sich Nichtjuden, also auch Sie, die Sie heute Abend an der Veranstaltung teilnehmen, sich um die Belange jüdischer Menschen kümmern bzw. sich dafür interessieren.

Ausgestattet mit einem Dossier über das „Jüdische Mutterstadt“, einschließlich der Aktivitäten der Kirchengemeinden in der Vergangenheit, wurde diese Dokumentation dem Holocaust – Museum in Washington zur Verfügung gestellt. Dies war auch der Grund, weshalb meine Frau und ich 1998 bei einem Besuch im Washingtoner Holocaust – Museum einen Empfang erhielten.

Gestatten Sie mir den Ausdruck, dass wir „erschlagen“ waren, als wir in diesem museumsdidaktisch und architektonisch vorbildlichen Museum auf einer riesigen Glaswand den Namen Mutterstadt fanden.

Diese Glaswand zeigte alle jüdischen Gemeinden auf, die unter der Nazibarbarei in Europa vernichtet wurden.

Ein von Heinz Eppler zunächst nicht geplanter, aber auf Wunsch meiner Seite zustandegekommener Besuch eines Gottesdienstes in einer jüdischen Synagoge in New York brachte uns mit Hilfe seines Schwiegersohns Mr. Colvin und seiner Tochter zu der Park Avenue Synagogue in der 87th Street nach Manhattan.

Der Rabbi, der Synagogenvorsteher, Mr. Keneth Stern, begrüßte mich, nachdem ich ihm präsentiert wurde, mit dem Satz: „…this is the famous Mr. Metzger…“. Nach meiner vollkommen verblüfften Reaktion stellte sich heraus, dass der hier bekannte Enkelsohn von Heinz Eppler, Jeremie Colvin, – damals, als er Mutterstadt besuchte, war er 12 Jahre alt -, als 13-Jähriger in seiner Bar Mizwah-Rede, eine Art Konfirmationsrede, über seinen Aufenthalt hier in Mutterstadt gesprochen hat. Keneth Stern als sein „Mentor“ hatte sich bis ins letzte Detail über die Ereignisse in Mutterstadt und Mainz berichten lassen.

Ich sage dies bestimmt nicht, um hier heute Abend meinen Namen zu nennen, sondern um Ihnen, meine Damen und Herren, zu signalisieren, welches Echo und welche Potenz an Versöhnung zwischen Juden und Christen zustandekommt, wenn sich nicht nur Politiker um relevante Belange kümmern, sondern z. B. Sie als Bürger einer Gemeinde. Ich möchte noch hinzufügen, wie sehr jüdische Menschen weltweit, und auch die amerikanischen Juden, darauf angewiesen sind, für ihre Lebenssituationen durch Nichtjuden faires Verständnis entgegengebracht zu bekommen.

Ich möchte weiterhin aus den zuvor genannten Geschehnissen die klare Erkenntnis ableiten, dass das Engagement z. B. des heutigen Publikums, aber auch der Presse, die auf solche Ereignisse eingeht, heilendes Balsam auf die Gemütswelt der Bürger jüdischen Glaubens ist.

Nach meiner festen Überzeugung ist es den Mutterstadtern gelungen, soweit dies den besagten Personenkreis betrifft, dies zu vermitteln und einen Beitrag zur Versöhnung zu leisten.

Ich möchte noch eine Bemerkung machen:

Es geht nicht darum, ob man „einen“ oder „die“ Juden „gern“ hat, ob man die Religion attraktiv findet oder nicht, ob man ihre Geschäftstüchtigkeit bewundert oder mit Misstrauen betrachtet. Am allerwenigsten sind sie Heilige!

Aber wer ist das schon!

Es geht auch zunächst am heutigen Abend nicht darum die Politik des heutigen jüdischen Staates für richtig oder für falsch zu halten und dies gar mit den Gurs-Deportierten in Verbindung zu bringen.

Es geht mit Sicherheit nicht darum, dass die Bürger jüdischen Glaubens hier in Deutschland eine umworbene Minderheit erster Klasse sein wollen!

Im Gegenteil:

Ich bin zu tiefst überzeugt, dass unsere Gurs-Deportierten, wenn sie noch reden könnten, fordern würden, dass alle Minderheiten, Menschen anderer Hautfarbe, Asylanten, Kriegsflüchtlinge und Gedemütigte die gleiche Aufmerksamkeit verdienen wie offensichtlich sie, die Bürger jüdischen Glaubens, soweit sie heute unter uns leben, von unserer Seite erfahren.

Es geht vielmehr darum, dass man ihnen das angedeihen lässt, was sie bei Gott verdient haben:

GERECHTIGKEIT!

Ich möchte dieses kostbare Wort wiederholen.

GERECHTIGKEIT!

Unterstützen Sie, wo immer Sie können, den zuvor angesprochenen Antrag an den Gemeinderat zur Namhaftmachung der Gurs-Deportierten 1940, und zum Gedenken an die Gemeinde!

Drücken Sie damit Ihre Verbundenheit mit diesen Menschen aus. Geben Sie diesen Menschen wieder ein Gesicht!

Das sind wir ihnen schuldig!

Meine Damen und Herren! Als ich 1954 als Konfirmandenschüler keine 6 m dahinten saß und einen beeindruckenden Pfarrer vorfand, der auch mal über eine Stuhlreihe sprang, um einen Ruhestörer zur Rechenschaft zu ziehen oder der mir als Gymnasiumsschüler zusammen mit zwei weiteren Delinquenten eröffnete, dass wir keine Tipps bekämen, wo wir am Konfirmationstag in Bezug auf die Prüfung, „dran kommen“, wusste ich nicht, welch großartiger Mensch, gerade im Hinblick auf den heutigen Tag, dieser Pfarrer war. Ich widme deshalb meine Ausführungen Pfarrer Johannnes Bähr.

Da ist aber noch ein Mann, dem ich mich sehr persönlich zugehörig fühle und der mir Vorbild ist. Ein Mann, der 1936 sein Gemeinderatsmandat, seine Funktion als Vorsitzender des hiesigen Gewerbevereins und seine berufliche Perspektive verlor und 10 Jahre später, 1946, als CDU-Bürgermeisterkandidat in den 1. Gemeinderatswahlen nach dem Kriege von der hiesigen Bevölkerung die meisten Wahlstimmen erhielt und bis zu seinem Tode 1949 sein Amt als Presbyter ausübte. Ich widme meine Ausführungen meinem Großvater Wilhelm Metzger.

Vor allem aber möchte ich meine Rede einem Mutterstadter widmen, einem gebildeten, engagierten Antinazi, der unter Lebensgefahr die jüdischen Bürger Leppla, nicht aus Mutterstadt stammend, und Fritz Dellheim aus Mutterstadt, in einem unterirdischen Raum in der hiesigen Bleichstraße versteckt hat und nach dem Kriege Betriebsratsvorsitzender bei meiner Lehrfirma Grünzweig und Hartmann AG wurde. Ein Mann der zwei Menschenleben gerettet hat: Johannes Unold.

Zum Schluss: Die Gewinner dieses Abends sind nicht der Herr Bürgermeister, die verehrten Pfarrer oder gar meine Person! Die Gewinner, meine Damen und Herren, sind ausschließlich Sie! Durch ihr Kommen habe Sie nämlich optiert für Gefühle der Scham und der Entschuldigung diesen armen Menschen gegenüber, denen wir heute gedenken. Darüber hinaus geben sie den 80.000 Mitbürgern jüdischen Glaubens in Deutschland die Gewissheit, daß sie hier, mitten unter uns, willkommen sind.

Autor: Herbert H.W. Metzger, Jahrgang 1940, unternehmerisch tätig, amtierte von 1980-1990 als Gründungsvorstand des Historischen Vereins der Pfalz e. V., Ortsgruppe Mutterstadt. Im Rahmen von zwei Bürgeraktionen und Herausgeber dieser Publikation engagiert er sich, das Unrecht, begangen an der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Mutterstadt und der Pfalz, aufzuarbeiten und vor allem die Jugend über das Schicksal des Pfälzer und Mutterstadter jüdischen Bevölkerungsteil zu informieren.

Fotos und Sonstiges sowie die dazugehörenden Texte sowie die Autoren-Kurzbiographie wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Siehe Quellennachweis Titel 9 (Nr. 000)