1.3.2 Vorwort des Herausgebers, Herbert H. W. Metzger

Allein die zahlenmäßige Auflistung aller Pfälzer Synagogen, jüdischer Friedhöfe und Mikwen zeigt u.a. wie eng das Zusammenleben zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen in unserer Region war. Menschen, die über Generationen dazu beitrugen, übrigens auch als gute Gewerbesteuerzahler, unsere Gemeinwesen zur Blüte zu bringen. U.a. deshalb ist die ab den 1980er Jahren auch in Mutterstadt einsetzende Gedenken- und Versöhnungskultur angebracht. Mutterstadt ehrt seinen ehemaligen jüdischen Bevölkerungsteil im Jahre 2002 u.a. dadurch, dass es die 52 Deportationsopfer nach Gurs 1940 durch eine Gedenktafel namentlich nennt.

Quelle: Bernhard Kukatzki, Schifferstadt / R.D. Rainer J. Bender, Mannheim

Interessiert, geschichtliche Zusammenhänge zu verstehen, und als Mutterstadter Bürger entschlossen, das Verbrechen der Deportation an dem hiesigen jüdischen Bevölkerungsteil 1940 auch als das zu bezeichnen, was es ist, wurde dies in einer Art Grundsatzrede am 22.10.2000 im Ehrenhof des Neuen Friedhofes und während eines ökumenischen Gottesdienstes in der Protestantischen Kirche am 23.10.2000 ausgesprochen.

Neben der Forderung, für die damaligen 52 Opfer eine Namens-Gedenktafel im Ehrenhof des Neuen Friedhofes zu platzieren, wurden auch die Verniedlichung der damaligen Ereignisse u.a. in unserer Ortschronik "Mutterstadt in Gegenwart und Vergangenheit" und die sparsamen Aussagen über die ehemalige jüdische Gemeinde reklamiert.

Status der Pfälzer Synagogen, Friedhöfe und Mikwen im Jahre 2002

Eine gegründete Bürgeraktion "Gedenktafel für deportierte Mutterstadter jüdischen Glaubens", unterstützt von der Protestantischen Kirchengemeinde und der Katholischen Pfarrgemeinde, stellte an die politische Gemeinde Mutterstadt einen entsprechenden Antrag, dies zu ändern, der am 11.12.2001 vom Gemeinderat positiv beschieden wurde.

Um einem erkannten Defizit bezüglich relevanter Informationen, besonders in den Mutterstadter Schulen, entgegenzuwirken, wurde eine zweite Bürgeraktion gegründet "Gedenkmaßnahmen für nach Gurs deportierte Mutterstadter jüdischer Herkunft", in denen sich u.a. Autoren und andere Persönlichkeiten zusammenfinden, die diesen Internet-Auftritt unterstützen. Bei der Zusammenstellung dieser Dokumentation wurden weiterhin folgende Ziele verfolgt:

  • interessierte Bürgerinnen und Bürger in Mutterstadt und in all den Gemeinden in Baden, in der Pfalz und dem Saarland, die vor der Deportation ihrer jüdischen Bürger 1940 in das südwestfranzösische Pyrenäenstädtchen Gurs betroffen waren, zu informieren. Dies unter Berücksichtigung der geschichtlichen Zusammenhänge.
  • den Opfern und ihren Nachkommen, die meist in den USA leben und aus dem "Gurs-Deportationsgebiet" stammen, ein exemplarisches Beispiel anhand der Mutterstadter jüdischen Gemeinde zu geben und aufzuzeigen, wie die Täter-, die Verdränger- sowie die Gedenken- und Versöhnungskultur in Deutschland ausgesehen hat. Die Landgemeinde Mutterstadt soll ein Beispiel sein.
  • Dies in einer Art Zeitreise vom Auszug der Israeliten aus Ägypten über ihre Ankunft und ihren Aufenthalt im "Gurs-Deportationsgebiet" und in Mutterstadt, bis zu der ab den 1980er Jahren entstehende Entschuldigungs- und Versöhnungskultur den Opfern gegenüber. Ergänzend werden die Ende des 20. Jahrhunderts neu entstandenen Freundschaften zu den Opfern und Nachkommen näher betrachtet.
  • den damaligen Opfern und ihren Nachkommen u.a. mit Hilfe der Nennung ihrer persönlichen Daten, von Interviews, Veröffentlichung ihrer hinterlassenen Briefe, Fotos, Dokumente, Grafiken und Tabellen wieder einen Namen, ein Gesicht, eine Geschichte zu geben.
  • Betroffene und ihre Nachkommen zum einen zu Wort kommen zu lassen und diese in die Dokumentation einzubinden, zum anderen diese Persönlichkeiten als Mitglieder der Bürgeraktion zu gewinnen mit der Absicht eine Polarisierung "Betroffene gegen Unrechtsaufarbeiter" aufzuheben. Beides ist gelungen.
  • den ehrlichen Anstrengungen der Protestantischen Kirchengemeinde und Katholischen Pfarrgemeinde, der politischen Gemeinde Mutterstadt, des Historischen Vereins der Pfalz e.V. Ortsgruppe Mutterstadt und Privatpersonen eine Unrechtsaufarbeitung erfolgreich durchgeführt zu haben, Rechnung zu tragen.
  • den Mit-Autoren dieses Internet-Auftrittes, die im Regelfall zeitlich die aufwendigsten Anstrengungen unternommen haben, opferbezogen zu recherchieren und zu publizieren, eine weltweite Verbreitung ihrer Kenntnisse zu ermöglichen. Weltweit deshalb, weil diese Internet-Publikation ins Englische übersetzt wird und hier wie in den USA, in denen die meisten Nachkommen des ehemaligen jüdischen Bevölkerungsteils leben, mit Hilfe eines Begleitbuchs zu diesem Internet-Auftritt, ergänzend dokumentiert wird.

Entscheidend für die Anstrengungen und Bemühungen ist jedoch der Wunsch, jungen Menschen, via Internet, online, u.a. in den Mutterstadter Schulen, einen Informationspool über die relevante Thematik der Gurs-Deportation vorzuhalten.

Hierüber mehr im nachstehenden Vorwort an die Schülerinnen und Schüler von Mutterstadt und an diejenigen im "Gurs-Deportationsgebiet".

Herbert H.W. Metzger, Herausgeber Oktober 2002