3.1.7 Alfred (Fred) Dellheim, Kombinatslenker in Berlin-Ost, DDR (GDR)
– Publizist mit sozialistischem, liberalem, marktwirtschaftlichem Politikverständnis -

Das Foto zeigt die Gesandte Botschaftsrätin Dvora Ben David des Staates Israels in Berlin am 31.01.2002 in der Berliner Solitaire-Galerie anlässlich der Vernissage der israelischen Künstlerin Dorit Feldman im Gespräch mit Alfred Dellheim (links). Es muss für Alfred Dellheim eine besondere Stunde gewesen sein: Integriert in eine an westeuropäisch-amerikanischen Standards sich orientierende, elegante Abendgesellschaft dominierte nicht nur die Kunst einer Gemäldeausstellung, sondern auch die politische Diskussion und das Gespräch über die besorgniserregende, durch die Selbstmordattentäter der palästinensischen Intifata geprägte Lage des jüdischen Staates Israel und die Position Deutschland hierzu. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war Alfred in den Realitäten der Bundesrepublik Deutschland angekommen. Es gibt wenige Lebenswege mit solch zahlreichen, auch diametral auseinanderstehenden Facetten als derjenige des Alfred, genannt Fred, Dellheim. Seine in Mutterstadt in ärmlichen Verhältnissen, jedoch angesehen lebenden Eltern und seine Schwester kamen alle in Auschwitz, 1943, zu Tode. Fred entkam als 15-jähriger per "Kindertransport" 1939 über England nach Kanada. [000]

Das Foto zeigt Julius Dellheim, links außen, Ehefrau Amalia und Tochter Tilly, Freds Schwester. Als britischer Soldat kämpfend 1944/45 nach Deutschland zurückgekehrt, übersiedelt Fred 1951, inzwischen aktiver Kommunist, in die ehemalige DDR und führt zunächst in den 1980er Jahren ein Maschinenbaukombinat, eine Art kommunistischer Konzern, u.a. in Berlin. Heute, nach der Wende 1989, ist er Mitglied der Partei Demokratischer Sozialisten (PDS). [000]

Fred Dellheim 1945 als britischer Soldat in Deutschland. In einer am 28.09.1999 gestellten Interviewfrage bezüglich der Wettbewerbswirtschaft in der BRD bezeichnet sich Fred als Neoliberaler, was offensichtlich durch seine Berufserfahrung in der ehemaligen DDR geprägt ist. Seine philanthropische Denkweise kommt an seinem aktiven Lebensende im Jahr 2002 zum Ausdruck: Fred Dellheim ist seit 1992 ehrenamtlicher Vorsitzender des Interessenverbandes ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener e. V. (IVVdN). [000]


In achtenswerter Weise ist Fred Dellheim, Jahrgang 1924, seinem im besten Sinne sozialistischen, also für seine Mitmenschen einstehenden Denken, auch im Jahre 2002 treu geblieben. Das schließt spätestens seit Anfang der 1990er Jahre ein, dass dies mit einem frei gewählten Mehrparteienparlament a la Westdeutschland, mit freier Marktwirtschaft und liberaler, freiheitlicher, am Wettbewerb orientierten Denkweise verbunden sein muss. Dass dies Fred Dellheim akzeptiert, geht aus seinen öffentlichen Äußerungen in der politisch linksorientierten Presse hervor. [000]

Nachstehender Lebenslauf zeigt den Mutterstadter Fred Dellheim auf seinem Lebensweg.

Alfred (Fred) Dellheim, Sohn von Amalie und Julius Dellheim und Bruder von Tilly Dellheim, wurde am 17.05.1924 in Mutterstadt geboren. Sein Vater betrieb einen Pferdehandel, die Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen, war aber im Dorf gut angesehen.

Freds Mutter ahnte, was kommen sollte. Noch während sein Vater im KZ Dachau war, meldete sie Fred an für einen Kindertransport. Der Vater war einverstanden, als er aus dem KZ kam. Dort hatte man ihm sechs Rippen eingeschlagen, aber er musste unterschreiben, um überhaupt entlassen zu werden, dass er ordentlich behandelt worden sei.

Am 6. Januar 1939 bestieg Fred den Zug. Seine Eltern und seine ältere Schwester brachten ihn zum Bahnhof. Er nahm Abschied von seiner Familie, die er nie wieder sehen sollte.

Über Holland kam Fred nach Süd-England in ein großes Camp. Dort lebte er mit ca. 300 jungen Deutschen und Österreichern zusammen. Ende April kam er nach London in die Schule, um u.a. die englische Sprache zu erlernen. Einige Tage vor Kriegsausbruch kam er nach Holt, einem Dorf in Wiltslive. Mit 16 Jahren kam er nach London zurück, um sich eine Identidy Card ausstellen zu lassen. Er fand Arbeit in einer kleinen Druckerei als Schriftsetzer.

Nachdem Churchill Premier geworden war, wurde der "Nationale Notstand" ausgerufen. Das bedeutete u.a. die Überprüfung aller im Lande lebenden Ausländer. Auf der Polizeiwache stellte man ihm einen neuen Pass aus. Dann stellte man ihm noch einige Fragen. Als "enemy aliens" (feindlicher Ausländer) wurde er in der Nähe Londons interniert, später kam er auf die Isle of Man. Im August wurde er nach Kanada deportiert. Dort fand er sich in verschiedenen Lagern wieder, so in Fredericton, in New Brunswick und in Farnham.

Er kam dort mit vielen internierten deutschen und österreichischen Kommunisten zusammen. Diese Menschen kümmerten sich um die verlassenen Jugendlichen. Hier las Fred Dellheim erstmals das Kommunistische Manifest. Im Februar 1942 kam er als freier Mann nach London zurück. Arbeit fand er in einer Autowerkstatt. Hier kam auch ein neuer Kontakt mit Emigranten zustande. Fred Dellheim wurde Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ). 1943 konnte er in die britische Armee eintreten, nachdem ein entsprechendes Gesetz in England verabschiedet war.

Mitte Juni 1944 landete er mit der zweiten Angriffswelle in der Normandie. Über Frankreich, Holland und Belgien betrat Fred wieder deutschen Boden. Am 8. Januar 1945 wurde er durch Granatsplitter verwundet und lag zwei Monate in einem Lazarett. Im März war er wieder bei seiner Einheit. Über Enschede und Osnabrück ging es nach Bremen. Dort erlebte Fred die Kapitulation des Hitlerreiches am 8. Mai 1945.

Fred arbeitete dann bei der britischen Militärregierung als Dolmetscher. Schließlich wurde er als "roter Soldat" versetzt, nachdem er entsprechend denunziert worden war. 1947 wurde er in England demobilisiert. Danach arbeitete er in der Freien Deutschen Jugend und ging 1951 in die DDR. Hier wurde er später Direktor der Werkzeugmaschinenfabrik "Fritz Heckert" in Karl-Marx-Stadt und später in der Werkzeugmaschinenfabrik in Berlin-Mahrzahn.

Nach der "Wende" 1989/90, die beiden deutschen Staaten waren vereinigt, das Kombinat geschlossen, ging Fred altersbedingt in Ruhestand.

Seine sozialistischen Grundwerte passte er aus Überzeugung der bundesrepublikanischen Vielparteiendemokratie an. Nach 1990 begann Fred verstärkt in den Neuen Bundesländern zu publizieren.

Seit 1992 ist Fred Dellheim Vorsitzender des Interessenverbandes ehemaliger Teilnehmer des antifaschistischen Widerstands, Verfolgter des Naziregimes und deren Hinterbliebenen e. V. (IVVdN).

Alfred Dellheim hatte einem volkseigenen Kombinat, also einer Art Konzern mit ca. 15 000 Beschäftigten vorgestanden und u.a. praktisches Managementwissen erworben.

Um so beachtlicher ist sein Wirtschaftsverständnis um die Jahrtausendwende: Zitieren wir Fred Dellheim aus einem von ihm der Zeitschrift "Junge Welt" vom. 28.9.1999 gegebenen Interview: … In der Wirtschaft wirken nun mal objektive Gesetze. Das neue ökonomische System (der Ex-DDR) hätte am Ende dazu führen müssen, dass über die Industrie hinaus beispielsweise in der Preispolitik Veränderungen notwendig gewesen wären. Das betrifft noch die Preise von Lebensmitteln, Konsumgütern, öffentlichem Nahverkehr, Mieten. Das waren alles subventionierte Gebiete. Wir sprachen damals von der zweiten Lohntüte. Aber diese zweite Lohntüte wurde als Selbstverständlichkeit erachtet und wirkte nicht mehr als Hebel zur Entwicklung der Leistung. Das war leider so. Aber man muss gut überlegen, ob man die Fragen der Subventionen heute so diskutieren kann. Unter heutigen Bedingungen wären Sie damit ein Neoliberaler? … Genau! Deshalb meine Bemerkung. Es ist ein Unterschied, ob man in einem Staat etwas zu sagen hat und wie man diesen Staat einschätzt und gestalten will. In dieser Situation sind wir heute nicht. Interview: Uwe Seckup.

Fred Dellheim lebt heute, 2002, in Berlin, ist verheiratet und hat einen Sohn, Axel, und eine Tochter, Judith. Aber er ist noch immer Mutterstadter. Oft schon weilte er hier zu Besuch, zuerst auf der Suche nach seinen Angehörigen und Verwandten, aber auch als er die traurige Gewissheit hatte, dass niemand von seiner Familie Auschwitz überlebt hatte, kam er immer wieder einmal zu Besuch nach Mutterstadt. So bei der Einweihung der Gedenktafel und bei dem Empfang, der zu Ehren von Werner Dellheim im Jahr 1994 gegeben wurde.

Auch besucht er gerne die Familie Külbs und andere Personen, denen er sich freundschaftlich verbunden fühlt.

An der Internet- und Buchpublikation "Die ehemalige Mutterstadter jüdische Gemeinde, die Gurs-Deportation 1940 und Auschwitz" arbeitet er als Co-Autor durch eigene Beiträge mit. Bezüglich der geplanten virtuellen Rekonstruktion der Mutterstadter Synagoge, in der er seine Bar Mitzwa-Feier als 13-jähriger hatte, arbeitet er durch Hinweisgebung beratend mit.

Auch mit der verstorbenen ehemaligen Vorsitzenden der KPD in Mutterstadt, Sonja Dzengel, war er seit der gemeinsamen Schulzeit gut bekannt. Der Kontakt endete mit dem Tod von Sonja Dzengel im Mai 1994.

Von Fred Dellheims Großmutter, Esther Marum, die nach der Deportation im Lager Gurs verstarb und dort begraben ist, gehen verwandtschaftliche Bande zu dem ehemaligen SPD-Reichtagsabgeordneten und badischen Staatsrat Ludwig Marum aus, der sich nach Angaben der nazistischen Mörder im KZ Kislau "erhängt" hat, in Wirklichkeit dort schwer gefoltert und getötet wurde.

Autor: Hermann Morweiser, Jahrgang 1932, wohnt in Ludwigshafen/Rhein. Engagiert in antifaschistischen Aktivitäten nach dem 2. Weltkrieg hat er das "Antifa-Archiv" aufgebaut, mit dessen Hilfe u.a. zahlreiche Publikationen Dritter erschienen und geschichtsbezogene Dissertationen erarbeitet wurden. Morweiser veröffentlicht auch eigene Beiträge zur NS-Vergangenheit u.a. "Pfälzer Juden und IG-Farben" 1988.

Fotos und Sonstiges, sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie, sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Siehe Quellennachweis Titel 9 (Nr. 000)

Für Schulen: Multiple-Choice-Fragen zu dem oben stehenden Artikel

- Mehrere Antworten können richtig sein -

Vor Ausbruch des 2. Weltkrieges konnten jüdische Kinder aus Deutschland flüchten. Wie nannte man diese Emigration?

 
Überlandverschickung
 
Kindertransport
 
Judenauswanderung

 

In Kriegszeiten werden Menschen, die Bürger des Kriegsgegners sind, eingesperrt, obwohl diese nichts verbrochen haben. Wie bezeichnet man diese Menschen?

 
Internierte
 
Kriegsgefangene
 
Häftlinge

 

Warum gingen Kommunisten wie Fred Dellheim nach dem 2. Weltkrieg in die damalige kommunistische DDR/GDR

 
Weil dieser Staat eine kommunistische Führung hatte
 
Weil dieser Staat gegen die ehemaligen Nazis vorging
 
Weil diese einen Staat ohne eine nationalsozialistische Partei aufbauen wollten