2.1.1 Geschichte, Gebräuche, Feiertage, Lebensstationen jüdischen Lebens
- Mit Dorfszenenfotos aus Mutterstadt in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts -

Die Mutterstadter Synagoge um 1938. Kulturelles und spirituelles Zentrum der Mutterstadter jüdischer Herkunft. Zum Thema: Niemand vermag eine eindeutige Definition zu geben, was "Judentum" bedeutet. Für Mutterstadt ist nur eines gewiss: Die jüdischen Familien verstanden sich als nationalbewusste Deutsche jüdischen Glaubens. Ihrem etwa fünf Generationen alten Wunsch, sich in das nichtjüdische Umfeld zu assimilieren, hatten sie um 1900 realisiert, bis sie ihr Schicksal in Form der nationalsozialistischen Rassenideologie und der Gurs-Deportation 1940 ereilte. [000]

Die Neustadter Straße 1920. Rechts vorne die ehemalige Eisen-warenhandlung Loeb. Zum Thema: Seit 1948 existiert der Staat Israel mit, 2002, etwa 7 Mio. Einwohnern u.a. 1 Mio. Araber muslimischen Glaubens. Auch diese nennen sich Israeli. In vorchristlicher Zeit wurden jüdische Menschen auch Hebräer genannt. Einer dieser "Urväter", Jakob, hatte im Traum mit einem Engel gekämpft und wurde daraufhin "Israel" genannt, was bedeutet "…der mit dem Gott gekämpft hat". [000]

Die Speyerer Straße, links das Gasthaus "Zum Ritter". Im "Oberdorf" gelegen, wurde dieser Ortsteil von den meisten jüdischen Familien bewohnt. Zum Thema: Nach der Staatsgründung unter König David um 1020 v. Chr. entstanden 100 Jahre später 2 jüdische Staaten davon Juda im Süden mit der Hauptstadt Jerusalem. Die Menschen nannte man Juden. Das Nordreich, auch Israel genannt, ging unter. Die dort lebenden 10 von 12 jüdischen Stämmen verschwanden spurlos. [000]

Besamin-Büchse [000]

Nochmals die Speyerer Straße, südlicher Teil. Vorne rechts das Gasthaus "Zum Ritter". Zum Thema: Als 1948 der heutige moderne jüdische Staat gegründet wurde, wurde dieser "Israel" und nicht "Juda oder Judäa" genannt. Grund: Man wollte signalisieren, dass dieser Staat nunmehr allen Stämmen = Menschen und somit allen Söhnen Israels gehört, auch wenn diese verstreut über die ganze Welt lebten. Die Bürger nennen sich Israelis. [000]

Die jüdische Modistin Johanna Dellheim vor ihrem Ladengeschäft in der Ludwigshafener Straße 2a, dem heutigen Café Kuhn. Zum Thema: Der Staat "Juda" mit den zwei verbliebenen Stämmen wurde 70 n. Chr. durch die Römer vernichtet, die Einwohner, also die Juden, über das römische Imperium verstreut. Durch ein weltweites, enges Zusammenhalten jüdischer Familien, durch Beibehaltung der Religion und den damit verbundenen identitätsstiftenden religiösen Gebräuchen überlebten die Juden als Volk. [000]

Die Lokalbahn in der Ludwigshafener Straße. Im Vordergrund, rechts, die heutige Kronen-Apotheke. Zum Thema: Ein Volk, wie das jüdische, das einen Glauben, eine Tradition hat, darüber hinaus Träger einer Vergangenheit, eines Gedächtnisses und einer Kultur ist und ein spirituelles Zentrum, Jerusalem, hat, braucht kein zentrales Tempel-Heiligtum und kein staatliches Territorium um zu überleben. Übertragen auf unsere heutige Zeit bedeutet dies, dass ein jüdischer Mensch ein nationaltreuer Russe, Franzose, US-Amerikaner oder Deutscher sein kann.

"Gefillter Fisch", eine traditionelle jüdische Speise [000]

Die Neustadter Straße als Fortsetzung der zuvorgezeigten Ludwigshafener Straße. Zum Thema: Das Siedlungsgebiet der Juden um das Mittelmeer herum mit dem Zentrum Spanien, in hebräisch "Sefarad", und alle übrigen nordeuropäischen, jüdischen Gemeinden mit Zentrum Deutschland, auf hebräisch "Aschkenas" genannt, erbrachten die Begriffe "sefardische und aschkenasische" Juden.

Tora-Zeiger mit Brandschäden [000]

Eine Straßenerweiterung im Ortskern, die u.a. den Lokalbahnhof und im 18. Jahrhundert das Dorftor = die Pforte "die Port" aufnahm, war bis nach dem 2. Weltkrieg "Klatsch"-Treffpunkt der Mutterstadter. Zum Thema: Die Sefardin sprachen das "Judeo-Espagnol", die Aschkenasin das Jiddische, dies neben dem Hebräischen und im Regelfall die Nationalsprachen ihrer Heimatländer. Im 19. und 20. Jahrhundert jedoch, also der Zeit, in der sich jüdische Menschen mit ihren nichtjüdischen, national verschiedenen Umfeld vollkommen assimilierten, verschwanden, bis auf die religiösen Ansichten, im Regelfall, alle Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden eines Nationstaates. [000]

Dorfidylle mit Schmiede, vorne links, und der Protestantischen Kirche. Unmittelbar davor, von der Oggersheimer Straße getrennt, lag die Synagoge. Zum Thema: Für religiöse Juden ist der Tages-, Jahres- und Lebensablauf durch das Gebet als eine Quelle der Belehrung bestimmt, meist gemeinsam mit mindestens 10 anwesenden Männern in der Synagoge. Synagogen- Baukörper und der Tora-Schrank, in dem die heiligen Thora-Rollen aufbewahrt werden, sind in Richtung Jerusalem ausgerichtet, auch bei der ehemaligen Mutterstadter Synagoge. [000]

Das vormalige Loeb´sche und spätere Hellmann´sche Anwesen in der Neustadter Straße vor dessen Umbau. Zum Thema: Die Mahlzeiten und Gesundheitsnotwendigkeiten haben zwar Vorrang vor dem spirituellen Leben, werden aber immer von religiösen Gesprächen, Gebeten und rituellen Handlungen begleitet. "Koschere" also nach religiösen Vorschriften zubereitete Speisen stehen dabei im täglichen Mittelpunkt. Gründe dafür sind letztlich, den Menschen vor verdorbenen, Krankheit und Seuchen verursachenden Lebensmitteln zu bewahren, Lebensmittel die in früheren Jahrhunderten, im Regelfall, nicht konservierbar waren. [000]

Jüdische Postkarten zeigen ein weites Meinungsspektrum (hier: "Die Judenfrage", Warschau, um 1905). [000]

Blick in die Oggersheimer Straße von "der Port" aus. Im Hintergrund das Rathaus, wobei die Synagoge, nicht sichtbar, rechts, schräg gegenüber, gelegen hat. Zum Thema: Festtage und (Mond-) Kalender regeln weithin jüdische Lebensabläufe. Wie der Tag dem Abendgebet und die Woche dem Sabbat entgegen strebt, so strebt das Jahr auf den großen Festtag "Rusch ha Schana" zum Neujahrsfest hin. Der Versöhnungstag "Jom Kippur", an dem jeder jedem seine Schuld vergeben soll, und das "Pessach-Fest", das an den Auszug aus Ägypten erinnert, sowie das "Chanuka-Lichtfest" sollen stellvertretend für die vielen jüdischen Fest- und Gedenktage eines Jahres stehen. [000]

Das "die Port" begrenzende Haus an der Ludwigshafener Straße zeigt das Schuhgeschäft der jüdischen Familie Sundelowitz. Zum Thema: Eine Woche nach seiner Geburt wird dem jüdischen Knaben die Vorhaut seines Gliedes beschnitten als hygienische und religiöse-soziale Maßnahme. Der Bund mit Gott wird damit auf ewig besiegelt. Moses, Jesus und Mohammed waren beschnitten. Mit 13 Jahren und der "Bar Mizwa-Feier" wird der Knabe zum vollwertigen Gemeindeglied, u.a. erhält er die religiöse Volljährigkeit. Er wird ein "Bar Mizwa", ein Sohn des Gottesgebotes. Erst in neuerer Zeit werden Mädchen in vergleichbarer Weise mit einer "Bat Mizwa- Feier" in die Glaubensgemeinschaft.

Der Chanukka Festleuchter erinnert an den Makkabäer Aufstand 167 v. Chr.[000]

Das Alhambra-Filmtheater in der Fußgönheimer Straße, dem heutigen Standort der Pestalozzi-Schulturnhalle, war Treffpunkt auch von jüdischen Familien. In der NS-Zeit war der Kinobesuch verboten. Zum Thema: Wichtige Lebensstation jüdischer Menschen ist die Hochzeit. Für einen religiösen Juden ist ein Mann ohne Frau nicht wirklich Mensch. Schließlich wird dieser mit Sterben und Tod konfrontiert: Während der einen Woche dauernden Trauer, der "Schiwe" gedenkt man des Verstorbenen und betet. Weitere 30 Tage lang, "Schelochim" genannt, sind weitere Trauerregeln zu befolgen: Haarschneide-, Rasier-, Bartscheren-Verbot. Während dieser Zeit brennt ein Licht im Haus zum Gedenken an den oder die Verstorbene. [000]

Vorbemerkung:

Wenn wir uns als Mutterstadter dem Teil unserer über 1250 Jahre alten Ortsgeschichte nähern, in der wir mit Menschen jüdischer Herkunft oder anders gesagt jüdischen Glaubens in unserem Ort zusammenlebten, ergibt sich eine 280-jährige Gemeinsamkeit von 1722 bis 2002: Mutterstadt war der Lebensmittelpunkt und / oder die Grabstätte des nichtjüdischen und jüdischen Bevölkerungsteils.

Wenn wir weiterhin begreifen, dass es jeden Menschen, gleich welchen Glaubens, den einen mehr als den anderen, interessiert, wo seine familiären Wurzeln liegen, wie seine Vorfahren dort, wo deren Wurzeln lagen, behandelt wurden, in welchem Umfeld die Vorfahren ihr Leben lebten, wie sie u. a. ihren Glauben ausübten, so sollten wir, die Mutterstadter, die heute leben, uns bewusst sein, dass diese neugierigen, in unserem Falle jüdischen Familien sehr wohl bemerken, ob ihre Vorfahren und unsere Mitbürger u. a. gerecht behandelt wurden. Und wenn diese aber ungerecht behandelt wurden: Wurde etwas unternommen, um dieses Unrecht aufzuarbeiten?

Um eine Personengruppe z. B. die Mutterstadter jüdischer Herkunft besser verstehen zu können, muss man u. a. wissen, welchen religiösen Gebräuchen diese anhingen, was ihre Wertevorstellungen waren, ob sich diese von ihren nichtjüdischen Mitbürgern unterschieden.

Man muss sich mit anderen Worten fragen: Wer ist Jude?

Der Franzose jüdischer Herkunft Marek Halter hat in einem Kapitel seines Buches "Alles beginnt mit Abraham", im Jahr 2000 erschienen im Paul Zsolnay Verlag, Wien, eine Antwort gegeben.

Die nachstehenden Bilder zeigen Szenen aus Alt-Mutterstadt und soweit Personen gezeigt werden, Mitbürger jüdischer Herkunft. Die Fotografien sollen eine Impression vermitteln, in welchem Umfeld diese Menschen in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts lebten. Die Nachkommen der Emigranten und Opfer, die in Chile, Argentinien, USA und anderswo leben, aber auch die Neubürger und Schüler in Mutterstadt, sollen ihre Heimatgemeinde oder "Alt-Mutterstadt" aus dieser Perspektive besser kennenlernen können. Der Autor Marek Halter hat mit verständlichen Worten ein Bild von Bürgern jüdischen Glaubens oder Herkunft und von den Grundlagen des Glaubens gezeichnet, welches ohne Zweifel u.a. auf unsere jüdische Gemeinde von 1722 an bis zur Deportation nach Gurs übertragbar ist.

Diese jüdische Gemeinde war dem Gemeinwesen Mutterstadt deshalb eine starke Stütze, weil ihre Familien und deren Bildung verantwortungsbewusste Mutterstadter und zu einem späteren Zeitpunkt nationalbewusste Staatsbürger hervorbrachte. Ihr Gewerbefleiß brachte unseren Ort auch materiell voran. Die Mutterstadter jüdischer Herkunft waren ihren Mitbürgern nachweisbar stets gute Nachbarn.

In Mutterstadt gab es eine so genannte reformierte jüdische Synagogen-Gemeinde, was u. a. besagt, dass sich die Gemeindemitglieder als assimilierte Deutsche betrachteten. Einfach erklärt bedeutet dies, dass sich diese Mutterstadter als absolut gleichrangig betrachteten, auch was die Übernahme von Pflichten wie z. B. die Ableistung des Wehrdienstes betraf. Sie unterschieden sich von ihren Mutterstadter Mitbürgern lediglich durch den Glauben, dem sie anhingen.

Lassen wir zunächst Herrn Halter zu Wort kommen:

Allgemein

Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich keineswegs den Ehrgeiz habe, hier ein erschöpfendes Portrait von uns Juden zu zeichnen. Solch ein Ehrgeiz wäre verrückt und auch fehl am Platze. Das Vorhaben, das Judentum in seiner Gesamtheit zu erfassen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zahlreiche Theologen und Philosophen, jüdische wie nichtjüdische, haben sich seit Jahrhunderten in seltener Beharrlichkeit auf dieses Abenteuer eingelassen. Keinem ist es jedoch gelungen, eine Definition des Judentums zu liefern.

Begriffsdefinition

Wie oft habe ich gehört, wie die Begriffe "Israeli", "Israelit" und Jude in völliger Konfusion gebraucht wurden. Man kann im vollsten Sinne Israeli sein, ohne Jude zu sein! Der Staat Israel zählt ungefähr sechs Millionen Einwohner. Wenn die Juden auch die Mehrheit bilden, so stellen sie dennoch nicht die Gesamtheit der Bevölkerung. Es gibt in Israel mehrere Minderheiten, darunter ungefähr eine Million Araber. Der Name Israel kommt von Jakob.

Einmal mehr wollen wir das Gedächtnis befragen und in der Geschichte zurückgehen. In der biblischen Genealogie war Jakob der Sohn Isaaks und der Enkel Abrahams. Wie vielleicht erinnerlich ist, hatte er seinem Bruder Esau für ein Linsengericht das Erstgeburtsrecht abgekauft…. Eines Nachts nun, als er gerade Esau entgegenzog, legte er sich, von den Strapazen des langen Fußmarsches müde, nieder, schlief ein und träumte. In diesem Traum sah er, wie er mit einem Mann – oder vielleicht einem Engel – kämpfte und als Sieger aus diesem Kampf hervorging (Gen 32, 25-29). Als Sieger, doch nicht unverletzt: Er erhielt einen Schlag aufs Hüftgelenk, das sich daraufhin ausrenkte – praktizierende Juden essen deshalb den Muskelstrang über dem Hüftgelenk von Rindern oder Schafen nicht. Nach diesem Kampf gab der Mann oder Engel, gegen den er gekämpft hatte, Jakob den Namen "Israel", was auf Hebräisch "der mit dem Gott gekämpft hat" oder "Kämpfer Gottes" bedeutet. Deshalb werden auch die zwölf Stämme, die aus den zwölf Söhnen Jakobs hervorgegangen sind, Bnei Israel genannt, die "Söhne Israels".

Im Jahre 928 vor unserer Zeitrechnung teilte König Salomon das Königreich in zwei Teile. Im Süden erhielt das von den Stämmen Juda und Benjamin bevölkerte Königreich Juda Jerusalem zur Hauptstadt. Im Norden bildeten die zehn anderen Stämme das Königreich Israel, dessen Hauptstadt Samaria wurde. Juda überdauerte, während Israel im Jahre 720 vor unserer Zeitrechnung vom assyrischen Herrscher Salmanasar zerstört wurde. Auf diese Weise sind die zehn Stämme des ehemaligen Königreichs Israel von der Bildfläche verschwunden, ohne dass man jemals wieder auf ihre Spur gestoßen wäre. Es handelt sich hierbei um eines der großen Rätsel der Geschichte.

Als vor fünfzig Jahren, Jahrtausende nach diesen dramatischen Ereignissen, der erste jüdische Staat gegründet wurde, beschlossen seine Gründer, ihn Israel zu nennen und nicht Judäa.

Sie wollten damit deutlich machen, dass dieses Land nunmehr allen Söhnen Israels gehörte. Unsere Zeit braucht Symbole. Der Akt der physischen Wiedergeburt der jüdischen Nation beanspruchte seinen Anteil am Gedächtnis und an der Geschichte. Das war auch die Zeit, als man die Menschen jüdischen Glaubens als "Israeliten" bezeichnete, nachdem der Begriff "Jude" während der antisemitischen Welle des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem als Beleidigung verwendet worden war. Die neue Benennung erfolgte in brüderlicher Absicht, doch stiftete sie nur zusätzliche Verwirrung.

Wer ist Jude? Den religiösen Juden zufolge versteht sich das von selbst: Jeder Mensch, der von einer jüdischen Mutter geboren wurde, ist Jude. Für einen Philosophen wie Franz Rosenzweig ist die Sache noch einfacher: "Er, der als Jude Gezeugte, glaubt nicht an etwas, er ist selber Glauben". Historisch gesehen ist der Begriff "Jude" aus dem Stammesnamen Juda hervorgegangen. Von Anfang an wurden zunächst die Mitglieder dieses Stammes und später die Bürger des Königreichs Juda so bezeichnet. Anders als Israel hat dieses Königreich, wie bereits erwähnt, bis ins Jahr 70 unserer Zeitrechnung überdauert, bevor es dem römischen Imperialismus unterlag.

Über die ganze Welt zerstreut, wurden die ehemaligen Untertanen des Königreichs Juda weiterhin ganz selbstverständlich als Juden bezeichnet. Seither hat sich unter den Angehörigen jener Nationen, die die Neuankömmlinge – mehr oder weniger gut – aufnahmen, Verwirrung breitgemacht. Bis zu diesem Zeitpunkt bedeutete die Zerstreuung eines Volkes und der Verlust seines Ursprungslandes auf mittlere Sicht das Verschwinden des Volkes selbst. Es scheint jedoch, dass die Juden dieser Auslöschung entgehen sollten, indem sie untereinander engen Kontakt hielten, aber auch die Verbindung zu ihrer Kultur und ihrer Geschichte nicht abreißen ließen und eine Reihe von alltäglichen Praktiken beibehielten. Das genügt, um sie mit den Anhängern einer Religion gleichzusetzen.

So verwenden die Briefe des Apostels Paulus die Bezeichnung Juden, wenn von jenen die Rede ist, die das mosaische Gesetz befolgen. Beinahe zweitausend Jahre später dachte Jean-Paul Sartre, seinerseits durch und durch Atheist, noch genauso: Er betrachtete die religiösen Juden als die einzigen authentischen Juden. Sollten aber diejenigen, die nicht religiös sind, deswegen zu "nicht-authentischen" Juden werden? Auch Stalin, der Herr über 83 Völker innerhalb der Sowjetunion war von diesem Volk ohne Land auf seine Weise irritiert. Und zwar derart irritiert, dass er es für notwendig hielt, den Juden eine kleine Schrift zu widmen.

Als Marxist konnte er sie nicht ausschließlich anhand des religiösen Kriteriums definieren. Da den Juden ein Territorium fehlte, um sie ins Mosaik der vom Sowjetimperium aufgesogenen Völker zu integrieren, beschloss er einfach, diese Lücke zu schließen. Ehe er sie verfolgte, "bot" er ihnen ein halbverlassenes Gebiet im tiefsten Sibirien an: Birobidschan. Dreihunderttausend Menschen wurden dorthin verschickt, bisweilen mit Gewalt. Noch heute tragen offizielle Schilder in Birobidschan – der Schriftzug an der Stirnseite des Hauptbahnhofs der Gebietshauptstadt eingeschlossen – jiddische Inschriften. Während wir nun ins dritte Jahrhundert unserer Zeitrechnung eintreten, stellt der Anachronismus eines Volkes ohne Land für viele noch immer ein Problem dar. Wie soll man die Juden Frankreichs, Großbritanniens oder die der Vereinigten Staaten bezeichnen?

Meiner Meinung nach schlicht und einfach: Als Juden. Denn ein Volk, das wie alle anderen auch aus religiösen und nichtgläubigen Menschen besteht, das Träger einer Vergangenheit, eines Gedächtnisses und einer Kultur ist, braucht kein Territorium, um zu existieren. Darin besteht, wie mir scheint, der Unterschied zwischen einem Volk und einer Nation.

Eine Nation versteht sich natürlich auch auf ihre Geschichte und ihre Kultur, doch zeichnet sie sich vor allem durch ihren Staat, die physische Realität ihres Territoriums und ihrer Institutionen aus. Für die Anhänger des Nationalismus birgt diese Unterscheidung einen Konflikt: Für sie kann es außerhalb oder neben der am Blut und am Territorium orientierter und zum höchsten Wert erhobenen nationalen Identität keinerlei Identität geben. Folglich stellt die Existenz des jüdischen Volkes ein Problem dar. Die Nationalisten begreifen nicht, dass man gleichzeitig und mit derselben Überzeugung Franzose und Jude, Engländer und Jude usw. sein kann. Doch auch hier passen die nicht-religiösen Juden am wenigsten ins Konzept. Würde sich das Judentum auf eine Religion beschränken, dann verstünde sich alles von selbst. Nun hätte aber bereits der Ausruf des Historikers Marc Bloch diese Frage beantworten müssen. Kurz bevor er durch deutsche Kugeln starb, rief er nämlich mit lauter Stimme: "Vive la France".

Was mich betrifft, so ist es für mich überhaupt kein Problem, Franzose und Jude zu sein. Ich bin französischer Staatsbürger und ich bin Jude. Was mich nun betrifft, so bin ich Pole, weil ich in Polen geboren wurde. Russe, weil ich in Rußland aufgewachsen bin, Argentinier, weil ich auch in diesem Land gelebt habe, und schließlich Franzose, nicht nur, weil ich in Frankreich lebe, weil Frankreich meine Nation ist, sondern auch, weil ich auf Französisch schreibe und träume. Außerdem, so könnte man noch hinzufügen, bin ich Schriftsteller, Kämpfer für die Menschenrechte oder Hochschulpräsident … und Jude! Jude bin ich nicht nur deshalb, weil meine Eltern Juden waren, nicht nur aus bloßer Treue zu den Gebräuchen meiner Vorfahren, sondern weil ich mich als Jude gewählt habe.

Ich wollte es aus einem Freiheitswunsch heraus sein, dem Wunsch nach einer Freiheit, die kein Zweck an sich wäre, sondern deren Sinn mir gerade im Judentum aufschien.

Von allen Dimensionen und Facetten meiner Identität bleibt jedoch mein Judentum die zerbrechlichste und bedrohteste. Auch heute noch werden hier und da Juden zum Tode verurteilt, weil sie Juden sind. Hier und da verweigert man dem jüdischen Volk weiterhin das Existenzrecht. Daher läuft die Tatsache, diese Dimension meines Seins zu bekunden und zu verteidigen – und zwar ohne sie mit einer religiösen Praxis zu verbinden, wohl aber mit dem Gedächtnis meines Volkes – darauf hinaus, sowohl für mich als auch für alle anderen die Freiheit einzufordern, ein Mensch zu sein, dessen Menschlichkeit respektiert wird.

Sefardische und aschkenasische Juden

Zwei Begriffe kehren immer wieder, sobald das Gespräch auf Juden kommt: sefardisch und aschkenasisch. Ihre Bedeutung ist sehr einfach. Durch die zufällige Verteilung des zerstreuten jüdischen Volkes haben sich im Mittelalter zwei große Gemeinschaften herausgebildet: die eine in Spanien, im Schatten der Kalifate, die andere in Frankreich und Deutschland. Nun wird die iberische Halbinsel und speziell Spanien auf Hebräisch "Sefarad" genannt, während Mittel- und Osteuropa und speziell Deutschland "Aschkenas" heißt. So einfach ist das! Zu allen Zeiten traten aber auch andere Gemeinschaften in Erscheinung, die weder der sefardischen noch der aschkenasischen Strömung angehörten.

Die Bnei Israel zum Beispiel, die Söhne Israels in Indien, die Juden im Kaukasus, die Falaschen in Äthiopien oder die Juden der zentralasiatischen Stadt Buchara. Doch nur der sefardische und der aschkenasische Zweig brachten intellektuelle Höchstleistungen hervor, bei ersterem zunächst in arabischer Sprache und später auf Judeo-Espagnol, auch Ladino genannt, beim zweiten auf Französisch und Deutsch sowie später vor allem auf Jiddisch. Die Texte des Moses Maimonides, der Arzt in Cordoba war, wurden in der Synagoge ebenso gelesen wie die des Rabbi Salomon Ben Isaak, genannt Raschi, eines Winzers aus Troyes. Die Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahre 1492, der die Vertreibung der portugiesischen Juden folgte, schuf dann ihrerseits eine sefardische Diaspora. Diese bereicherte und stärkte die seit Jahrhunderten in Nordafrika ansässigen jüdischen Gemeinschaften, die ursprünglich aus Berbern bestanden und vor der Ankunft des Islam zum Judentum konvertiert waren. Die aschkenasischen Juden hingegen wurden durch die Verfolgungen, denen sie zur Zeit der Kreuzzüge in Frankreich und Deutschland ausgesetzt waren, in Richtung Osten getrieben. Die Pogrome am Ende des 19. Jahrhundert zwangen dann Hunderttausende von Juden, nach Nord- oder Südamerika auszuwandern.

Oft heißt es, die Sefardim kämen aus Nordafrika und die Aschkenasim aus Mitteleuropa. Doch ganz so geschickt lässt sich das nicht aufteilen: Die Mitglieder der sefardischen Gemeinden in Bordeaux, Amsterdam und teilweise selbst in Krakau waren sefardischer Herkunft. Ein Teil der umesischen Juden dagegen stammt ursprünglich aus Italien. Kurzum: In jedem Volk gibt es verschiedene kulturelle Stimmungen und jedes Volk wird durch die vielen Besonderheiten seiner Umgebung geprägt. Die Franzosen aus Paris haben einen anderen Akzent als die aus Lille, was sie allerdings nicht daran hindert, gemeinsam die Marseillaise zu singen. Ich habe bisher vor allem versucht, ein Bild des nicht-religiösen Juden zu zeichnen. Doch kann ich nicht den Anspruch erheben, hier das Judentum vorzustellen, ohne zumindest einige Grundzüge des religiösen Judentums zu erklären.

Religiöse Gebräuche

Für die religiösen Juden sind der Tag, die Woche, das Jahr, sind alle Lebensrhythmen von bestimmten Regeln und Praktiken geprägt. So muss für einen religiösen Juden der Tag mit dem Gebet beginnen und auch enden: "Hör unsere Stimme, ewiger, unser Gott, schone uns, erbarme Dich unser! Nimm in Erbarmen und Huld unser Gebet an, denn ein Gott, der Beten und Flehen hört, bist Du. Lass nicht leer von Dir wenden, unser König, denn in Erbarmen hörst Du das Beten Deines Volkes Israel". Der Tagesablauf wird durch drei Gebete bestimmt: "Schacharit", das Morgengebet, "Mincha", das Nachmittagsgebet und "Maarix", das Abendgebet.

Wer diese vorgeschriebenen rituellen Gebete praktiziert, erlebt sie als eine Quelle der Belehrung. Sie erlegen sich dem Praktizierenden um so stärker auf, je weniger er sich dazu zwingen muss. Daher können sie an die Stelle einer richtiggehenden Gewissensprüfung treten. Die religiösen Juden bevorzugen das gemeinsame Gebet. Das gemeinsame Gebet, heißt es im Talmud, wird immer erhört. In der Regel findet es in der Synagoge statt – ein Wort, das schlicht und einfach "Versammlung" bedeutet.

Für ein gemeinsames Gebet ist die Anwesenheit von mindestens zehn Männern erforderlich. Diese Mindestzahl wird Minjian genannt. Man ist in Richtung Jerusalem gewandt, wo – wie wir weiter oben gehört haben – Esra nach der Rückkehr aus Babylonien eine "Große Synagoge" einberief, in der die Bibel öffentlich gelesen wurde, um so den Menschen das Gebot des Gesetzes von neuem nahezubringen. Im Laufe all der Jahrhunderte war die Synagoge nicht nur das Haus des Gebets "Bet ha Tefila", sondern auch das Haus der Versammlung "Bet ha Knesset". Der Rest des Tages sollte dem Studium, dem Lernen, gewidmet sein: "Jeder Mann, Sohn des Hauses Israel, ist zum der Torn angehalten", sagt Maimouides, "gleichgültig ob er nun arm oder reich ist, gesund oder krank, jung oder alt und selbst wenn er so arm ist, dass er der öffentlichen Wohlfahrt her darf". Die Mahlzeiten stellen ebenfalls einen wichtigen Moment dar.

Ganz allgemein sollen alle unerklärlichen Tätigkeiten des Tages, wie zum Beispiel Essen oder Schlafen, auf einen tieferen Sinn als die bloße Erhaltung des Körpers ausgerichtet sein. Der Jude soll sie zu einem Mittel machen, um Gott noch besser dienen zu können, damit sich diese prosaische Notwendigkeiten nach und nach in gute Werke, "Mitzwot" verwandeln lassen. Die Mahlzeiten sind für die Gesundheit des einzelnen natürlich notwendig, doch dürfen sie auf keinen Fall Vorrang bekommen vor dem spirituellen Leben. Rabbi Simeon sagte: "Wo drei an einem Tisch essen und an ihm nicht von Worten der Weisung reden, so ist es, als ob sie von Totenopfern essen würden!" Darüber hinaus muss der religiöse Jude Speisevorschriften einhalten: "Koscher" zu essen, dieses Wort ist vermutlich allgemein bekannt. Es bedeutet einfach so zu essen, wie es sich gehört, das heißt, den Vorschriften des Gesetzes entsprechend. "Nur halte fest daran", heißt es im Buch Deutemonium, kein Blut zu essen! Denn das Blut ist das Leben…". Im Buch Levitikus ist eine Liste verbotener Speisen aufgeführt: "dürft ihr nicht essen: den Hasen, denn er käut wieder, hat aber keine gespaltenen Hufe, unrein soll es euch sein: das Schwein… .

Diese Vorschriften stoßen oft auf Unverständnis. Man darf jedoch nicht vergessen, dass sie vor Jahrhunderten, ja Jahrtausenden in einem sehr heißen Land erlassen wurden, so wie zu einer Zeit, da Lebensmittel noch kaum konserviert werden konnten. Sie beinhalten auch moralische Vorschriften wie: du sollst ein Böckchen nicht in der Milch seiner Mutter kochen. Die Einhaltung dieser Regel führt dazu, dass in der Küche zweierlei Geschirr verwendet werden muss, eines für Milchspeisen und ein zweites für Fleischspeisen.

Festtage und Kalender

Nach dem jüdischen Kalender befinden wir uns im Jahre 2001 nach christlicher Zeitrechnung im Jahre 5732 nach Erschaffung der Welt. Einigen Bibelkommentaren zufolge beginnt der Kalender nach der Sintflut, das heißt also mit dem ersten Bund, den Gott durch Noah mit den Menschen schloss. Wo auch immer man zu zählen anfängt, der jüdische Kalender ist jedenfalls ein Mondkalender. Die Monate können also entweder neunundzwanzig oder dreißig Tage und die Jahre zwölf oder dreizehn Monate haben. Diese Differenz führte im Laufe der Geschichte zu einigen äußerst komischen Situationen.

Da der Kalender dem mediterranen Jahreszeitenrhytmus folgt, ergab es sich zum Beispiel, dass die Juden Mitteleuropas das Erscheinen der ersten Frühlingsfrüchte bei Schnee und immer noch eisigen Temperaturen feiern mussten. Doch ist dies in Wahrheit nur ein weiteres Mittel, um dem jüdischen Bewusstsein den Vorrang der Zeit vor dem Raum vor Augen zu führen. Wie der Tag dem Abendgebet und die Woche dem Sabbat entgegenstrebt, so strebt der Jahreskreis auf einen der größten Festtage zur Rosch ha Schana, das Neujahrsfest.

Auf dieses Ereignis folgt kurz darauf der Versöhnungstag: Jom Kippuch. Man ist versucht, hinter der Nähe dieser beiden großen Festtage die Absicht zu vermuten, dass dem Gläubigen bedeutet werden soll, dass er in der Zeit nicht weitergehen kann, ohne um Vergebung gebeten und gefasst zu haben. Ist nicht vielmehr das ein Fasten an, dem ich Gefallen habe, ungerechte Fesseln zu lösen, die Knoten des Joches zu öffnen, gewalttätig Behandelte als Freie zu entlassen, und dass ihr jedes Joch zerbrecht. Besteht es nicht darin, dein Brot dem Hungrigen zu brechen und dass du harmlose Elende ins Haus führst. Wenn du einen Nackten siehst, dass du ihn bedeckst und dass du dich deinen Nächsten nicht entziehst.

Es würde zu lange dauern, hier die zahllosen jüdischen Feste aufzuführen, das ist im Übrigen auch gar nicht das Anliegen dieses Buches. Ich möchte nur die wichtigsten kurz erwähnen. Sie feiern die großen Momente in der Geschichte des jüdischen Volkes.

An erster Stelle steht die Erinnerung an den Auszug aus Ägypten mit dem Pesach Fest, dann folgt das Wochenfest, Schawuot, an dem die Offenbarung des Gesetzes gefeiert wird, dann das berühmte Laubhüttenfest Sukkot, das an den langen Marsch durch die Wüste unter dem Schutz des Ewigen erinnert. Diese Feste markieren auch die wichtigsten Abschnitte des bäuerlichen Lebens, Aussaat, Getreideernte und Obsternte und Weinlese. Schließlich sei noch Chanukka erwähnt, das schöne Lichterfest, das an den Aufstand und den Sieg der Makkabäer gegen die griechischen Besatzer im Jahre 167 vor unserer Zeitrechnung erinnert sowie an das Lampenwunder im Tempel zu Jerusalem, als eine Öllampe statt, nur wenige Stunden zu brennen, diesen heiligen Ort acht Tage lang erhellte.

Lebensstationen: Beschneidung, Bar Mitzwa, Hochzeit, Tod

Alles Leben beginnt mit der Geburt. Für einen religiösen Juden ist jede Geburt ein gutes Werk, da sie die Pflicht zur Fortpflanzung nach dem Willen des Ewigen erfüllt. Bei einem Knaben findet eine Woche nach der Geburt die Beschneidung statt. Sie entspricht einem uralten Ritual, das sowohl in Ägypten als auch in Afrika, Amerika oder in Australien verbreitet ist. Ursprünglich aus hygienischen oder sozialen Gründen ausgeführt, erhält es mit der folgenden biblischen Aufforderung eine äußerst präzise Bedeutung. Dies ist mein Bund, den ihr halten sollt, zwischen mir und deinen Nachkommen nach dir, alles was männlich ist, soll bei euch beschnitten werden. Die Beschneidung heißt auf Hebräisch "Mila", was soviel bedeutet wie "Wort". Man gibt sein Wort, wenn man sich verpflichtet, wenn man einen Vertrag schließt.

Und so verstehen die Juden auch die Beschneidung als eine Verpflichtung, die eingegangen wird. Dieses Wort, das der Mann mittels eines Teils seines Fortpflanzungsorgans gibt, wird also zu einem auf ewig besiegelten Eid. Am ersten Tag des Jahres 2000 zuvor feierte die Welt zum Beispiel die Beschneidung Jesu. Als Jude hatte ihn sein Vater Josef eine Woche nach der Geburt nach Jerusalem in den Tempel gebracht, um ihn in den Bund mit den Ewigen einzuführen. Damit brachte er nicht nur die Zugehörigkeit zu einem Land und einem Volk zum Ausdruck, sondern auch die Verbundenheit mit dem Allumfassenden und der Zeit. Nicht zuletzt müssen wir festhalten, dass erstaunlicherweise alle drei Zentralgestalten des Monotheismus, Moses, Jesus und Mohammed, beschnitten waren. Im Alter von dreizehn Jahren erreicht das Kind die religiöse Volljährigkeit: Es wird ein Bar Mitzwa, ein Sohn des Gottesgebotes.

Denn bei den religiösen Juden gilt, dass sich ein Individuum ab einem Alter von dreizehn Jahren nicht mehr auf seine Eltern beziehen kann. Er muss selbst die Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Anschließend folgt die Hochzeit. Für die religiösen Juden ist ein Mann ohne Frau nicht wirklich Mensch: "Als Mann und Frau schuf Er sie, und er segnete sie und gab ihnen den Namen Mensch". Schließlich wird früher oder später der Tod kommen. Rabbi Elieser sagte: "Einen Tag vor deinem Tod kehre um." Doch kennt der Mensch seinen Todestag?

So ergibt sich, dass er alle seine Tage in Umkehr verbringe, heißt es im Talmud, im Traktat Schabbat. So soll der religiöse Jude seinem Nächsten beim Sterben helfen: Kranke zu besuchen, sich um die Alten kümmern oder Sterbenden beizustehen, ist ein gutes Werk. Die Trauer währt zunächst eine Woche lang. Das ist die "Schiwa". Während dieser sieben Tage gedenkt man des Verstorbenen und spricht Gebete. Denn meine Seele warst du, dem "Scheol" nicht lassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Grube sehe. Du wirst mir kundtun den Weg des Lebens. Fülle was von Freuden ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in seiner Rechten immerdar. Dreißig Tage lang, "Schelochim" genannt, sind weiterhin Trauerregeln zu befolgen: zum Beispiel das Verbot, sich die Haare zu schneiden, sich zu rasieren oder den Bart scheren zu lassen. Während dieser Zeit brennt im Haus ein Licht zum Gedenken an den Verstorbenen. Es ist vermutlich klargeworden, dass viele Juden sie ganz oder zum Teil befolgen und darin ihre wahre Freude finden.

Autor: Marek Halter, Jahrgang 1936, in Warschau geboren, flüchtete mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten über Russland nach Paris, wo er heute lebt. 1994 drehte der mehrfach preisgekrönte Romancier die Dokumentation "Tzedek, les Justes" über den Holocaust. Auf Deutsch liegen vor das Buch zum Film "Auf der Suche nach den 36 Gerechten" sowie "Der Messias" und "Alles begann mit Abraham".

Quelle: Siehe Quellenverzeichnis Titel 9 (Nr. 000)
Foto und Sonstiges, sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiografie, sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.

Für Schulen: Multiple-Choice-Fragen zu dem oben stehenden Artikel

- Mehrere Antworten können richtig sein -

Deutsche jüdischen Glaubens waren, außer in Glaubensfragen, im Regelfall von Nichtjuden nicht zu unterscheiden. Wie lange dauerte diese Assimilation?

 
5 Jahre
 
5 Generationen
 
100 Jahre

 

Wie wurden jüdische Menschen in den letzten 3000 Jahren genannt?

 
Juden
 
Hebräer
 
Israeli

 

Woher kommt der Begriff "Jude"?

 
Bewohner des antiken jüdischen Staates Juda
 
Bewohner der antiken Landschaft Judäa
 
vom Jesus-Apostel Judas

 

Warum trägt der heutige jüdische Staat den Namen Israel?

 
Nach dem antiken jüdischen Staat gleichen Namens
 
Um an die 10 verlorenen Stämme im antiken Staat Israel zu erinnern
 
Weil Erzvater Jakob auch Israel genannt wurde

 

Warum sind die Juden das einzige noch lebende antike, vorchristliche Volk?

 
Weil sie sich nicht an ein Territorium geklammert haben
 
Weil sie treu an ihren einen Gott Jahwe festgehalten haben
 
Weil Familien- und Glaubenszusammenhalt stark ausgeprägt sind

 

Welche Bevölkerungsgruppen gibt es bei jüdischen Menschen?

 
Aschkenasen
 
Hebräer
 
Sepharden

 

Es gibt eine altdeutsche mit polnischen und hebräischen Worten durchsetzte, von Juden gebrauchte, heute noch gesprochene Sprache. Wie nennt sich diese?

 
Latino-Espagnol
 
das Jiddische
 
das Hebräische

 

Religiöse Juden kochen nach religiösen Speisevorschriften. Wie nennt sich diese Küche?

 
Eine koschere Küche
 
eine jüdische Küche
 
eine israelische Küche

 

Eine Woche nach seiner Geburt wird ein jüdischer Knabe beschnitten. Nenne Religionsstifter, die beschnitten waren!

 
Jesus
 
Moses
 
Mohammed