2.3.5 Der jüdische Friedhof in Mutterstadt

Blick auf den jüdischen Friedhof in Mutterstadt, Pfalzring. Durch den Ausbau des Pfalzringes mussten Begrenzungsmauer und Eisentor straßenseits wegfallen und einige Tote umgebettet werden. Bevor 1890 der Friedhof eröffnet wurde, bestattete man die Verstorbenen innerhalb 24 Stunden nach ihrem Tode bis 1822 in Wachenheim, anschließend in Fußgönheim. 1877 wurde die Forderung nach einem hiesigen Begräbnisplatz laut, nachdem die jüdische Gemeinde 160 Seelen zählte. Am 18.11.1889 erwarb die politische Gemeinde zu Gunsten der jüdischen Gemeinde ein 400 m² großes Ackergelände. Nach 30 Jahren war der Friedhof zu klein. Man erweiterte ihn um 207 m² im Jahre 1922. 1925 wurde die Totenruhe durch wohl nicht politisch motivierten Vandalismus gestört im Gegensatz zum Jahre 1938. Damals wurden 17 Grabsteine durch die Nationalsozialisten beschädigt. 1947 wurde der Friedhof vorbildlich wieder in Stand gesetzt. Ein Neubaugebiet war in den 1960er Jahren Grund, am Friedhof straßenseitig bauliche Veränderungen vorzunehmen. Der heutige Zustand entstand. [000]





Auftragsvergabe-Urkunde des Gemeinderates bezüglich Errichtung einer Friedhofs-Umfassungsmauer. Ein interessantes Vergabedetail: von Auftraggeberseite war eine Bausumme ermittelt und den im Wettbewerb anbietenden Firmen vorgegeben worden. Diese mussten lediglich mitteilen in welcher Höhe sie gewillt waren einen Nachlass zu geben. Zuschlag erhielt die im Ort als "Greinhenrichsvelde" bekannte Firma Metzger die seit 1820 bis Heute Bauaktivitäten ausübt.


Die in französischer Sprache erhaltene Sterbeurkunde verweist darauf, dass Mutterstadt 1813 noch zum Kaiserreich Frankreich gehörte. 5 Jahre zuvor erst, 1808 hatten sich jüdische Familien Fa-miliennamen zulegen müssen. Ausnahme die Familie Dellheim die bereits in dieser Form 1722 hier in Mutterstadt genannt wird.[000]


Pflege des jüdischen Friedhofes. Die jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz ist die Rechtsnachfolgerin der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Mutterstadt. In allen relevanten Entscheidungsprozessen der Gemeinde ist sie auch im Jahre 2002 grundsätzlich mit eingebunden. Mutterstadt ist auf obiges Schreiben sehr stolz. [000]

Allgemein:

Ein steinernes Zeugnis der Erinnerung an die in der Nazi-Zeit ausgelöschte Israelitische Kultusgemeinde Mutterstadt (Landkreis Ludwigshafen am Rhein/Regierungsbezirk Rheinhessen-Pfalz) ist der 1889 angelegte und 1890 erstmals belegte jüdische Friedhof am Pfalzring. Bevor die Mutterstadter Juden, die urkundlich erstmals 1719 in der damals noch kurpfälzischen Gemeinde erwähnt wurden, über einen eigenen Begräbnisplatz verfügten, mussten sie ihre Toten auf dem seit dem 16. Jh. bestehenden jüdischen Friedhof in Wachenheim (Landkreis Bad Dürkheim), seit 1822 auf dem jüdischen Friedhof in Fußgönheim (Landkreis Ludwigshafen am Rhein) begraben. Der Fußgönheimer Verbandsfriedhof war auf Anordnung der Königlichen Regierung der Pfalz und zu Lasten der politischen Gemeinden (in Klammer die Kopfzahl der jüdischen Bevölkerung anfangs der 1820er Jahre) Fußgönheim (95), Ruchheim (90), Mutterstadt (64) und Schauernheim (6) auf Fußgönheimer Gemarkung angelegt worden.

Zur Baugeschichte des Mutterstadter Friedhofes

Aus dem Jahre 1877 sind die ersten schriftlichen Belege für den Wunsch der Mutterstadter Juden nach einem eigenen Begräbnisplatz bekannt. Anlässlich der Planung eines neuen Friedhofs der politischen Gemeinde in Mutterstadt bat der Synagogenausschuss um die Zuteilung eines eigenen Begräbnisplatzes, da die Beisetzung der Toten auf einem gemeinsamen Friedhof sicherlich nicht gerne gesehen würde. Zehn Jahre später, am 4. August 1887, wendet sich der Synagogen-Ausschuss an das Bürgermeisteramt Mutterstadt.

In einem erneuten Schreiben vom 19. Juni 1888 heißt es: "Fertigstellung des Friedhofes für die Israeliten hier betreffend. Der Unterzeichnete bittet das wohl löbliche Bürgermeisteramt bei dem verehrlichen Gemeinderat gefälligst dahin wirken zu wollen, dass der durch das k. Bezirksamt genehmigte Begräbnisplatz alsbald mit einer steinernen Mauer umgeben wird, da der Begräbnisplatz in Fußgönheim zur Beerdigung von Leichen hiesiger Gemeinde keinen Raum mehr bietet.

Die israel. Kultusgemeinde ist bereit, die Hälfte der Kosten für Einfriedigung des Begräbnisplatzes aus eigenen Mitteln zu bestreiten, während die andere Hälfte aus der Gemeindekasse bestritten werden wolle. Gütiger Gewährung der vorstehenden Bitte entgegensehend zeichnet Hochachtungsvoll für den Synagogenausschuss der Vorstand Moritz Löb".

Die jahrelangen Bemühungen der Mutterstadter Juden um einen eigenen Begräbnisplatz waren schließlich von Erfolg gekrönt. Am 26. Oktober 1889 schrieb das Königliche Bezirksamt Ludwigshafen an das Bürgermeisteramt in Mutterstadt: " In Erwiderung auf den Bericht des vom 9.I.M. wird dem Bürgermeisteramte nach Einvernehmung des kgl. Bezirksarztes eröffnet, dass gegen den Ankauf von etwa 4 Ar aus Pl.No. 2269 (Distrikt Rheingönheimer Weg) von Ackerer Daniel Wagner zum Preise von 71 M 91 P. pro Ar und gegen die Umwandlung des angekauften Grundes als israelitischer Begräbnisplatz keine Erinnerung besteht. Das Grundstück ist vor der Benützung entsprechend einzufriedigen, auch ist der hierzu führende Zugangsweg noch zweckgemäß zu verbessern". "Am 18. November 1889 erwarb dann die politische Gemeinde vier Dezimalen Ackerland über dem ehemaligen Rheingönheimer Weg (PINr 2269 1/2) und stellte dieses Gelände der jüdischen Gemeinde für einen Begräbnisplatz zur Verfügung".

Am 29. Mai gab die jüdische Gemeinde folgende verbindliche Erklärung ab: "Die unterzeichneten Mitglieder des Synagogenausschusses als Vertreter der israel. Kultusgemeinde Mutterstadt machen sich hierdurch verbindlich, die Hälfte derjenigen Kosten aus Mitteln der israelitischen Kultusgemeinde nach Bedarf aufzubringen und beizuschießen, welche durch die Herstellung der Umfassungsmauer nebst Eingangstür am neuen israel. Friedhof daher nach dem der Versteigerung und Ausführung zu Grunde liegenden Kostenanschlages und Planes gefertigt durch den Bezirksbauschaffner in Ludwigshafen am 5. Mai 1890 um Gesamtkostenbeträge von 1336 M. bei der Ausführung der politischen Gemeinde erwachsen werden". Unterschrieben wurde diese Erklärung von Moritz Löb und Adolf Löb.

Die Erweiterung des jüdischen Friedhofes, 1922

Dreißig Jahre später war der vierhundert qm große Friedhof zu klein geworden. Am 16. Dezember 1920 richtete deshalb der Vorstand des Synagogenrates, Salomon Löb, folgende Bitte an die politische Gemeinde: "Betreff: Friedhofserweiterung der Israeliten. Der Friedhof der Israeliten ist fast ganz belegt. Der Synagogenrat richtet daher an die Gemeinde das Ersuchen, Sorge tragen zu wollen, dass derselbe in nächster Zeit errichtet wird. Falls ein neuer allgemeiner Friedhof errichtet wird, ließe sich die Angelegenheit so ordnen, dass den Israeliten in diesem Friedhof eine Abteilung (nicht lesbar?) würde. Hierzu gibt der Synagogenrat jetzt schon grundsätzlich seine Zustimmung".

Im Jahre 1922 wurde der Friedhof um eine Fläche von 207 qm erweitert. Dies geht aus einem Schreiben von Bürgermeister Reber vom 18.09.1959 an das Landratsamt Ludwigshafen hervor: "Das Grundstück des jüdischen Friedhofes hat die Plan-Nr. 2269 1/2 und ist im Grundbuch von Mutterstadt Band 6, Blatt 435, Seite 369 mit 400 qm angegeben. Die Gemeinde hat jedoch zur Vergrößerung des Friedhofes im Jahre 1922 das angrenzende Grundstück mit der Plan-Nr. 2269 erworben und von diesem eine Teilfläche von 207 qm abgetrennt.

Eine Vermessung dieses Teilstückes und grundbuchamtliche Eintragung wurde nicht vorgenommen. Die Ausmaße des Friedhofes betragen 12,70 m Breite und 47,80 m Länge, welches eine Fläche von 607 qm ergibt".

Zerstörungen auf dem Friedhof 1925 und 1938

Im Jahre 1925 waren auf dem in 300 m Entfernung vom christlichen Friedhof gelegenem jüdischen Friedhof von Unbekannten einige Grabmale umgeworfen worden. Ludwig Leopold Loeb, II. Vorsitzender der Kultusgemeinde bat deshalb die Gemeindeverwaltung mit Brief vom 21. April 1925 um Hilfe: "Auf dem hiesigen israel. Friedhofe sind von bübischer Hand einige Grabsteine umgeworfen worden. Da nun der Friedhof Eigentum der politischen Gemeinde ist und deshalb unter dem Schutze der hiesigen Gemeinde steht, so bitten wir die Gemeinde-Verwaltung die Steine aufstellen lassen zu wollen. Um nun diesem Übel ( ? nicht lesbar) entgegenzutreten, wäre es angebracht, wenn man die Mauer am oberen Teile (Eingang) erhöhen oder wie ( ? nicht lesbar) mit Stacheldraht versehen würde, da dieselbe hier doch zu nieder ist. …Ferner bitten wir um Erstellung einer Pumpe auf dem Friedhofe".

Wenn die Zerstörungen von 1925 eher unpolitischer Vandalismus und weniger antisemitischer Natur gewesen sein sollten, so waren die Zerstörungen auf dem jüdischen Friedhof in Gefolge der Reichspogromnacht 1938 ein Teil des von den Nazis organisierten Terrors gegen die alteingesessene jüdische Bevölkerung Mutterstadts. Mindestens siebzehn Steine wurden bei dieser Aktion geschändet. Leider gibt es zu diesen Vorgängen kein dem Verfasser bekanntes Aktenmaterial.

Der Friedhof in der Nachkriegszeit – einstimmiger Gemeinderatsbeschluss 1947 zur Instandsetzung des jüdischen Friedhofes

Mit Datum vom 23.04.1947 teilte der Bürgermeister dem Landrat mit: "Bei der Sitzung des Gemeinderates vom 22. April 1947 wurde einstimmig der Beschluss erhoben, dass der hiesige israelitische Friedhof nach dem Kostenvoranschlag Nr. II wieder instandgesetzt werden soll. Die Baufirma Adam Rief wird mit den Bauarbeiten und der Gärtner Eugen Kramer mit der Anpflanzung des lebenden Hainbuchenzaunes beauftragt. Die Arbeiten sollen so bald als möglich begonnen werden". Vom Bericht des Bürgermeisteramtes nahm der Landrat "mit Befriedigung Kenntnis", ersuchte aber gleichzeitig, dass neben den Einfriedigungsarbeiten auch die Grabsteinreste so weit als möglich wieder herzurichten und aufzustellen seien und dann nach Abschluss der Instandsetzung weiter zu berichten.

Umfangreiche Umgestaltungs- und Neuanlagemaßnahmen in den 1960er Jahren

Durch die Anlage des neuen christlichen Friedhofs in unmittelbarer Nachbarschaft des jüdischen Begräbnisplatzes wurde dessen Bild und Anlage in wesentlichen Teilen verändert. So mussten im vorderen Teil wegen des Ausbaus und der Verbreiterung des damaligen Neuweges (heute Pfalzring) siebzehn Gräber, davon die Hälfte Kindergräber, vom vorderen Bereich in den hinteren linken, nicht belegten Teil, verlegt werden. Vor der Umbettung der Gräber musste 1965 die Genehmigung von Rabbiner Dr. Nathan Peter Levinson eingeholt werden, da nach jüdischer Tradition und Religionsgesetz die Toten ewiges Ruherecht haben und ein Grab nur aus gewichtigen Gründen angetastet werden darf.

Diese Maßnahmen führten bei einigen durch Emigration und Flucht in der Nazizeit in alle Welt zerstreuten ehemaligen jüdischen Mutterstadter zu sorgenvollen Anfragen. Am 31. Oktober 1967 schrieb deshalb die Gemeindeverwaltung Mutterstadt an die in Kanada lebende Elise Marx: "…darf ich Ihnen mitteilen, dass die Gemeindeverwaltung im Rahmen der Neuanlage eines Gemeindefriedhofes im Anschluss an den jüdischen Friedhof den Neuweg als Zufahrtsstraße ausbaut. Der jüdische Friedhof wird grundsätzlich in seinem Bestand erhalten und dem neuen Friedhof in sinnvoller Weise zugeordnet. Wir haben mit den beteiligten Regierungsstellen und insbesondere mit der jüdischen Kultusgemeinde die notwendigen Vereinbarungen getroffen, um die Umfassungsmauer mit dem Eingangstor zur Verbreiterung der Straße der Umfassungsmauer des neuen Friedhofes anzupassen. Für diese Verlegung mussten einige Umbettungen, meist Grabstellen von Kleinkindern am Friedhofseingang, unter Beteiligung und mit Erlaubnis des Landesrabbiners unter Beachtung aller religiöser Riten vorgenommen werden. Die Grabstelle Ihres Mannes und die Ihres Sohnes wurden dabei nicht betroffen. Sie können versichert sein, dass die Gemeinde Mutterstadt seit Jahren in angemessener Weise Sorge für die Grabstätte ihrer jüdischen Mitbürger übernommen und den jüdischen Friedhof in ausgezeichnetem Zustand bis heute erhalten hat.

Autor: Bernhard Kukatzki, M.A., Jahrgang 1960, ist gelernter Historiker und mehrfach ausgezeichneter Publizist. Als anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der Pfälzer Synagogenforschung veröffentlicht er seit den 1980er Jahren über jüdisches Leben in Pfälzer Landgemeinden. Speziell mit seiner Publikation "Der jüdische Friedhof in Mutterstadt" hat er sich große Verdienste um die Gemeinde erworben. Kukatzki studierte an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und an der Universität Landau. Er lebt in Schifferstadt / Pfalz.

Fotos und Sonstiges, sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie, sowie die die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Siehe Quellennachweis Titel 9 (Nr. 000)

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- Mehrere Antworten können richtig sein -

Wo wurden die Mutterstadter Juden bis 1890 begraben?

 
in Ludwigshafen
 
bis 1822 in Wachenheim, ab 1823 in Fußgönheim
 
in Fußgönheim

 

Wann wurde der jüdische Friedhof am Pfalzring eingeweiht?

 
1890
 
1933
 
1822

 

Wer kümmert sich heute, 2002, um die Erhaltung des Friedhofes?

 
die politische Gemeinde Mutterstadt
 
die jüdische Kultusgemeinde Rheinpfalz, Neustadt/Wstr.
 
die Nachkommen der Verstorbenen