2.3.8 Viehhandel in Mutterstadt: Ehrlichkeit unter jüdisch-nichtjüdischen Nachbarn
- Heimmichel-Jean (Magin) und Otto Loeb und das dörfliche landwirtschaftlich geprägte Umfeld des Landjudentums -

Eine dörfliche Szene. Die jahrhundertelange, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Juden und Nichtjuden beispielsweise als Viehhändler und Metzgermeister wollte das NS-Regime mit Hilfe der "arischen" landwirtschaftlichen Genossenschaften und den Konsumvereinen beenden. Professionalität und Ehrlichkeit der jüdischen Geschäftspartner waren dabei ein Hindernis. Der nebenstehende Bericht gibt u.a. Auskunft auch über einen jüdischen Viehhändler-Witz: "Da dieser Zug kein Rindvieh befördert, komme ich mit dem nächsten." [000]

Die dörfliche, berufsbezogene Gesellschaft war arbeitsteilig und spezialisiert organisiert. Zwar war der Bauer oftmals in der Lage in großen Umfang handwerkliche Tätigkeiten u.a. auch den Hufbeschlag auszuführen. Im Regelfall jedoch ging er zum Schmied um seine (Arbeits-) kuh oder sein Pferd beschlagen zu lassen. Auch der jüdische Vieh- oder Pferdehändler hatte engen Kontakt zu solchen Spezialisten, die wiederum diese prompt und gutzahlende Kundschaft sehr schätzte. [000]

Das Magin’sche und rechts daneben das Löb’sche Haus in der Speyerer Str. zeigt das ärmliche Wohnniveau jüdischer / nichtjüdischer Familien. [000]

"Heimmichel-Jean" Magin. Er war der Nachbar der Familie Otto Löb, die Jean’s Witwe sehr geholfen hat. [000]

Zwar praktizierten beispielsweise die jüdische Familie Eppler die so genannte Vieheinstellung. D. h. eine Eppler´sche trächtige Kuh wurde bei einem Bauern eingestellt, der Arbeitskraft, Milch und Dung nutzte, dafür das Tier, einschließlich dem Kalb, versorgte. Nach dem Verkauf von Kuh und Kalb wurde der Erlös nach Absprache aufgeteilt. Notwendiges Stroh wurde mit Hilfe der im Dorf zentral aufgestellten Dreschmaschinen beschafft. [000]

Hinsichtlich des Handels mit Vieh ist festzuhalten, dass dieser sich nicht nur auf deutsche Zentren beschränkt hat, sondern sich auch auf das Ausland erstreckte, wie aus einem in Mutterstadt gern erzählten Witz deutlich wird. Einer der jüdischen Viehhändler hatte in Spanien Vieh eingekauft und da mit der Rückreise nicht alles planmäßig zu verlaufen schien, telegrafierte er seiner Frau: "Da dieser Zug kein Rindvieh befördert, komme ich mit dem nächsten."

Im Viehhandel waren die Juden große Experten und zunächst mussten auch die Nazis dem Rechnung tragen. So lesen wir bei Graml u.a.: "Auf dem Land erwiesen sich die jüdischen Vieh- und Getreidehändler als zunächst unentbehrlich, und auch später, als das Regime zunehmend eigene Einrichtungen zum Ankauf von Vieh und Getreide offerierte, war es trotzdem nicht leicht, die Geschäftsbeziehung zwischen Landwirt und jüdischem Händler zu liquidieren, weil viele Bauern zu erkennen begannen, dass sie von den bislang so oft geschmähten Juden reeller und vorteilhafter bedient wurden als von den "arischen" Agenten der neu geschaffenen Genossenschaften; noch 1935 waren zahlreiche Bauern, wie Partei und Gestapo beklagten, "schamlos" genug, finanzielle über rassenpolitische Argumente zu stellen und mit Vorliebe an jüdische Partner zu verkaufen, wobei angesichts der offenen Judenverfolgung außer auch sehr häufig Regungen bestimmend wurden, die von Christentum und Menschlichkeit diktiert waren."

Als Bub habe ich noch in Erinnerung, dass in Mutterstadt schon gründlich mit den Juden diskutiert wurde, wobei häufig auch ein Schuss Humor dabei war. Für Vertragsverhandlungen musste man sich offensichtlich Zeit lassen. Ich denke noch daran zurück, wenn ich mit meinem Vater oder meinem Petter (Pate) mitgenommen wurde, wenn sie ein Stück Vieh gekauft haben. Wenn mein Petter, genannt "Heimmichl-Jean" mit seinem jüdischen Nachbarn, dem Löb Otto, diskutiert hat, war das immer interessant. Beide waren von imposanter Statur und wenn dann mein Petter mal eine Kuh kaufen wollte, dann ging es lange Zeit hin und her. Glaubte ich dann, dass jeder seinen Standpunkt hinreichend gründlich und detailliert dargestellt habe und sein Partner hätte überzeugt sein müssen, dann war oft noch lange kein Ende. Nicht selten brach dann Otto ab, ging zum Hoftor, nicht ohne Jean zuzurufen: "Jean, du rechnest mir meinen Verdienst bis zum letzten Pfennig vor!" Mein Petter meinte dann zu mir, wenn wir allein waren: "Der kommt wieder." Und es vergingen keine zwei Minuten, da öffnete sich das Hoftor, Otto kam wieder und man war sich rasch einig. Sicher gab es bei den Juden wie bei allen Menschen Unterschiede.

Von meinem Petter kann ich sagen, dass er im Verhandeln jedem gewachsen war und alle gängigen Praktiken kannte. Aber es gab auch Unterschiede in den Zielvorstellungen. Mein Vater war eher zum Nachgeben bereit, denn es kam ihm darauf an, ein schönes Tier zu erwerben. Für diese Einstellung hatte mein Petter nicht viel übrig. Für ihn sollte das Tier einen Zweck erfüllen und kein ästhetisches Wohlgefallen auslösen. Was den Verkauf von Vieh betrifft, hatte ich mit meiner Mutter das Erlebnis, das ich schon der Gerechtigkeit wegen erwähnen muss.

Als mein Vater 1935 verstorben war, stand meine Mutter vor der Frage, die Viehhaltung aufzugeben. Sie musste sich zum Verkauf entschließen, denn der landwirtschaftliche Betrieb war nicht wie bisher aufrechtzuerhalten. So informierte sie Fritz Löb, zu dem sie offensichtlich besonderes Vertrauen hatte. Fritz Löb kam und besah sich das Vieh im Stall und sagte meiner Mutter den Preis, den er zu erzielen hoffte. Meine Mutter war damit einverstanden. Fritz sagte ergänzend, dass er nicht wisse, ob er tatsächlich den Preis erzielen würde, aber er wolle alles versuchen und wenn er mehr bekomme, dann würde er das meiner Mutter geben, denn er wisse, dass auch sie das Geld dringend brauche.

Bei dieser Gelegenheit mahnte meine Mutter Fritz Löb, er möge doch ins Ausland gehen, denn diese "Stromer" (gemeint waren die Nazis) würden sie (die Juden) eines Tages noch umbringen. Fritz Löb erklärte, dass er das nicht könne; er habe keine Guthaben im Ausland, die er dafür haben müsse. Er könne auch nicht verstehen, dass dies notwendig sei, denn er habe sich nichts zuschulden kommen lassen und man sei doch in Deutschland, einem Rechtsstaat.

So haben die Juden die Dinge damals gesehen und sie verstanden nicht, dass ihre Mitbürger mehr Bedenken hatten, als sie selbst.

Bermerkenswert erscheint vor allem: Nach drei Wochen kam Fritz Löb wieder zu uns und brachte meiner Mutter einige Geldscheine mit den Worten: "Gretche, ich hab‘ mehr bekommen, als ich gedacht habe; hier hast du es, wie ich es dir versprochen habe." Meine Mutter sagte mir, als Fritz den Hof verlassen hatte: "Das kann ich dir sagen, von einem Christen hätte ich über den vereinbarten Preis hinaus kein Geld bekommen." Da ihr Vater selbst eine Dünger- und Kohlenhandlung neben der Landwirtschaft gehabt hatte, kannte sie sich aus und wusste über die Gepflogenheiten Bescheid.

Vielleicht ist meine Mutter in der Beurteilung ihrer christlichen Brüder und Schwestern zu weit gegangen, aber wahrscheinlich war sie doch sehr überrascht von der Konsequenz, mit der Fritz zu seinem Wort gestanden hat.

Fritz Löb ist nach den Unterlagen der Gemeinde Mutterstadt am 09.01.1942 in Gurs verstorben. Wie oft mag er über sein Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat nachgedacht haben?

 

Autor: Hermann Magin, Jahrgang 1922, in Mutterstadt geboren, lebt in Speyer. Dort, ehemaliger Stadtrat, publizierte er u.a. über Kriegsgeschehnisse und eine Dokumentation mit dem Titel "Die Mutterstadter Juden und ihre Verfolgung", 2000. Das Unrecht der nationalsozialistischen Herrschaft und wichtige Erkenntnisse als Zeitzeuge aufzuzeigen, ist sein Anliegen. Hermann Magin ist Mitglied der zwei Bürgeraktionen.

Fotos und Sonstiges, sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie, sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Siehe Quellennachweis Titel 9 (Nr. 000)

Für Schulen: Multiple-Choice-Fragen zu dem oben stehenden Artikel

- Mehrere Antworten können richtig sein -

Besonders bei Viehhandelsgeschäften ist man auf das fachliche Wissen und die Ehrlichkeit des Händlers angewiesen. Welchen Ruf hatten jüdische Vieh- und Pferdehändler?

 
wollten ihre Kunden übervorteilen
 
Handel erfolgte zum gegenseitigen Vorteil des Käufers und Verkäufers
 
waren als berechenbare und ehrliche Geschäftspartner bekannt

 

Wo und wie wurden Korn, Weizen, Hafer gedroschen?

 
auf zentral aufgestellten Dreschmaschinen im Dorf
 
in den Bauernscheunen, auf Zeit, durch einen Dreschmaschinenbesitzer
 
mit dem Dreschflegel und per Hand

 

Beschlugen Viehhändler und viehhaltende Bauern ihre Tiere im Regelfall selbst?

 
nein, man ging zum Schmied und einem Fachmann
 
ja, wenn es ein Großbauer war, beschlagen ist leicht
 
ja, ein Pferd oder eine Kuh zu beschäftigten