3.1.4 Der protestantische Pfarrer Johannes Bähr 1938
– Ein unnachsichtiger Verurteiler der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft -

Das Ehepaar Bähr nach dem Zweiten Weltkrieg. Zum Thema: Wenige ländliche protestantische Kirchengemeinden in Südwestdeutschland können während der NS-Zeit auf einen Pfarrer verweisen, der u.a. Festigkeit in Glaubensdingen und Mitmenschlichkeit jüdischen Bürgern gegenüber zu einem Lebensprinzip erhoben hat. Bähr, 1902 geboren, Vater von zehn Kindern und unterstützt von seiner Frau, trat den Nationalsozialisten furchtlos entgegen. Er machte sich damit, aus heutiger Sicht, um Mutterstadt verdient.[000]

Theologische Erklärung der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche 1934. Zum Thema: Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 gründeten Pfarrer und Gemeindemitglieder deutschlandweit eine nationalsozialistisch orientierte Kirche "Deutsche Christen", der sich aber die Mehrheit, organisiert in der "Bekennenden Kirche" entgegenstellte. Auch die christlichen Gesamtschulen, die in der NS-Zeit die Konfessionsschulen ablösten, brachten durch Bähr kritisierte Religionskundedefizite mit sich. [000]

Haftentlassung und Verwarnung wegen Judenbegünstigung [000]

Wie wenig in der protestantischen Kirche eine NS-kritische Haltung vorhanden war, dies im Gegensatz zu der Bähr’schen Haltung, zeigt die Hitlervergötterung auf der Titelseite des Evangelischen Sonntagsblatts 1939. Zum Thema: Sechs Monate zuvor hatte man u.a. die Mutterstadter Synagoge niedergebrannt. Die scharfe Verurteilung dieser Tat durch Pfarrer Bähr brachte diesem Verhaftung, Gefängnis und Ortsverweis ein. [000]

Neben der Turnhalle ist der protestantische Gemeindesaal der einzige großflächige Versammlungsraum in Mutterstadt. Zum Thema: Bähr opponiert gegen die Nutzung für profane Belustigung und NS-Aktivitäten. Bährs Anti- NS-Haltung aktiviert viele Bürger zu einer prokirchlichen Haltung. [000]

Der Organist Reppert bediente sich für seine Kunst der obigen Orgel. Zum Thema: Am 14.12.1943 beerdigte Pfarrer Bähr die jüdische Ehefrau des Organisten, die ihr Mann per Handwagen zum jüdischen Friedhof in Mannheim gebracht hatte. Bähr, über die Friedhofsmauer geklettert, sprach das jüdische Totengebet. Dieser Vorgang der Nächstenliebe war mit KZ und dadurch mit extrem erhöhtem Todesrisiko verbunden. [000]

Pfr. Gustav Jakob Johannes Bähr wurde am 5.9.1902 in Düsseldorf geboren.

Er studierte 1921-1926 evangelische Theologie in Bethel, Tübingen, Rostock und Berlin. Seit 1926 stand er im Dienst der Pfälzischen Landeskirche, zuerst als Vikar in Kusel, Oppau und Germersheim, dann als Pfarrverweser in Neustadt und schließlich als Pfarrer zuerst in Heuchelheim, Dekanat Bergzabern, dann 17 Jahre in Mutterstadt und zuletzt in Mußbach. Er starb am 26.5.1980 in Landau. Die Pfarrstelle in Mutterstadt wurde Pfarrer Johannes Bähr mit dem Beschluss vom 16.8.1937 von der Protestantischen Kirchenregierung verliehen.

Vor Mutterstadt war Johannes Bähr Pfarrer in Heuchelheim. Schon dort hatte er sich Ärger eingehandelt durch sein Eintreten für jüdische Mitbürger. Bereits am 23. Mai 1934 hatte Pfr. Bähr in einem Brief an den örtlichen HJ-Oberbannführer erklärt: "Überhaupt möchte ich deutlich betonen, dass auf mich die Drohungen mit Verhaftung, Sondergericht usw. keinen besonderen Eindruck machen. Damit kann man einen Mann, der für eine gute Sache steht, nicht einschüchtern" (Privatarchiv Bähr) Im Februar 1937 weigerte er sich, jüdische Familien aus dem Diakonissenverein zu entfernen. Dies brachte ihm eine Beschwerde der Kreisleitung Bergzabern an Dekan Mettel ein, in der die sofortigen Versetzung seiner Person gefordert wurde. Dazu erklärte Bähr gegenüber Dekan Mettel: "Man muss auch die Juden lieben". Zu dieser Zeit wohnten in Heuchelheim nur noch fünf Juden.

Nach Angaben des Landeskirchenrates handelte es sich bei den betroffenen Mitgliedern des protestantischen Pflegevereins um "alleinstehende, pflegebedürftige Personen, die seit Gründung dem Diakonissenverein angehören". (Aus "Konfession und Nationalismus – Evang. und kath. Pfarrer in der Pfalz 1930-1939, von Thomas Fandel). Pfr. Johannes Bähr war Gründungsmitglied der Pfälzischen Pfarrbruderschaft, die sich am 3.9.1934 gründete (Documenta I, S. 275) Aus einem Rundbrief der Pfälzischen Pfarrbruderschaft vom 26.6.1935 geht hervor, dass Pfr. Bähr bis 1937 Rechner des Vereins war (ZASP Abt. 160). Am 23. Juni 1935 kamen in Schifferstadt zum 1. Mal in der Pfalz aus einem größeren Bezirk, dem Dekanat Speyer, Vertrauensleute zusammen, mit denen die kirchliche Lage besprochen werden konnte. Sie kamen aus fast allen Gemeinden des Speyerer Dekanats. Aus Rundschreiben Nr. 21 der Pfälzischen Bruderschaft vom 12.7.1935 (ZASP Abt. 160) geht hervor, dass bei dieser Versammlung 60-65 Männer und auch einige wenige Frauen der Bekennenden Kirche beitraten.

Aus einem vertraulichen Protokoll über eine ganztägige Arbeitstagung der Pfälzischen Pfarrbruderschaft am 1.3.1937 in Neustadt (ZASP Abt. 160) geht hervor, dass Pfarrer Bähr hier für zwei neue Ämter gewählt wird. Am 23.3.1937 war in Mutterstadt die "christlichen Gemeinschaftsschule" eingeführt worden. Pfr. Bähr äußert sich dazu indirekt: "In der hiesigen Volksschule hielt der Pfarrer insgesamt sieben Religionsstunden wöchentlich. Leider sind die Lehrer unkirchlich und zum Teil sogar antichristlich. Ihr Religionsunterricht wird damit sehr fragwürdig." In seinem Jahresbericht für 1938 schreibt Bähr: "In der Volksschule hielt der Pfarrer acht Religionsstunden wöchentlich. Bei der Fragwürdigkeit des Religionsunterrichts der meisten Lehrer wäre es gut, wenn noch mehr Religionsstunden von kirchlichen Kräften gehalten werden könnten. In einem Brief vom 27.10.1938 untersagt Bürgermeister Backe Pfr. Bähr die Abhaltung von Religionsunterricht am Mittwoch, da dadurch der Terminplan der "Staatsjugend" beeinträchtigt werde (Gemeindearchiv Dokument Nr. 202). Außerdem empfahl Backe in einer vertraulichen Anordnung vom gleichen Tag an die Schulleitung ein Polizeiverhör von Lehrern und Schülern, um "verneinende Stellungnahmen" des Pfarrers vor der Jugend festzustellen (Gemeindearchiv ebd.) (Nach Schepua)

Am bekannt esten ist Bährs Verhalten zu den Ereignissen des 10. November 1938: Pfr. Bähr hatte am Morgen des 10. November im Unterricht in einer fünften Klasse der Volksschule gesagt: "Was hier gemacht wird, ist nicht recht – Juden sind auch Menschen und mit Menschen muß man immer menschlich umgehen." (Documenta III, S.45) Bähr wurde noch am selben Tag nachmittags verhaftet und in das Amtsgerichtsgefängnis Ludwigshafen überführt, wo er vom Landrat in der Funktion des Vorstands der Kreispolizei vernommen wird. Zuvor war nach einer "Vernehmung" durch den Ortsbürgermeister Backe bereits Hausarrest über den Pfarrer verhängt worden. Auf Intervention des Landesbischofs der Pfälzischen Landeskirche Ludwig Diehl bei Regierungsrat Bradfisch, dem politischen Gestapo-Chef, wird Bähr am Nachmittag des 12. November dann wieder freigelassen. Er bekommt lediglich einen 14-tägigen Ortsverweis. Auch das gegen ihn eingeleitete Verfahren wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz wird später – vermutlich ebenfalls auf Intervention von Diehl und Bradfisch – eingestellt. Bähr selbst schreibt dazu in seinem Jahresbericht von 1938: "Schließlich hat auch die unglaubliche Hetze und die Verleumdung gewisser Kreise gegen Kirche und Pfarrer in der Gemeinde manches Vorurteil aufkommen lassen. Die zuletzt erwähnten Machenschaften der Kirchengegner, welche als Ergebnis meine Verhaftung am 10. November zeitigten, haben jedoch das kirchliche Leben mehr gefördert als geschädigt. Über den treuen Kreis der Gemeinde hinaus werden auch viele Leute durch den Ernst der Lage auf ihre Verpflichtung hingewiesen. Bei der überwältigenden Mehrheit auch der unkirchlichen Mitglieder wurde das Vorgehen des Bürgermeisters Backe verurteilt. Derselbe ließ mich – wie bekannt – verhaften, weil ich zu einigen Kindern im Religionsunterricht gesagt hatte, die Inbrandsetzung der Synagoge sei nicht recht."

Zu den Aktivitäten der KFD (Kraft durch Freude) schreibt Bähr in seinem Jahresbericht von 1939: "Ein Ärgernis (Skandalon!) ist auch unser Gemeindesaal: Viele verstehen es einfach nicht, daß ich denselben nicht für alle möglichen mit dem christlichen Gewissen nicht zu vereinbarenden Belustigungen hergeben kann. Das wird einem als Feindschaft gegen die kulturellen Bestrebungen der Bewegung KDF ausgelegt. Es ist einfach ein Jammer, daß man z.B. für Veranstaltungen des Militärs den Saal einfach zwangsmäßig zur Verfügung stellen muss und dann Dinge dort geboten werden, die ein Hohn sind auf Scham und Sitte. Es erweist sich als eine Verwirrung, dass man seinerzeit einen Theatersaal gebaut hat. Nun steht er da, kostet Geld zum Unterhalt und wird von der Masse als Stätte weltlicher Freuden gefordert, da kein gleichartiger sonst am Ort ist."

In der Zeit zwischen Oktober 1942 und März 1943 wurde Pfr. Bähr umfangreich vernommen wegen "staatsfeindlicher Aussagen in der Predigt, Herabwürdigung des Hitlergrußes und Fürbitte für die um des Glaubens willen Verfolgten." (Documenta III, S.352) Pfr. Bähr schreibt dazu später: "Eine Äußerung bei einem Hausbesuch, dass wir den Krieg noch nicht gewonnen hätten, wurde dazu benutzt, mich bei der Polizei zu denunzieren, ich hätte geäußert, wir würden den Krieg verlieren. Das eingeleitete Verfahren drang jedoch nicht durch, da die Denunzianten bei dem Verhör nicht mehr zu ihren Aussagen standen … Die Rücksicht auf meine Familie mit damals acht Kindern und ein gewisser Abscheu gegen die Gemeinheit, mit der gegen mich vorgegangen war, haben zweifellos die günstige Entscheidung durch den mich ständig überwachenden Beauftragten der Gestapo mitbeeinflusst."

Am 14.12.1943 beerdigte Pfr. Bähr heimlich die jüdische Frau des Mutterstadter Organisten Reppert auf dem Judenfriedhof in Mannheim. Sein Sohn Hans schildert die Geschichte so: "Als im Dezember 1943 die jüdische Frau unseres Organisten und Klavierlehrers starb, bat dieser, Vater möge sie beerdigen. Vater fragte Mutter um Rat. Es war klar, dass, wenn er entdeckt würde, sie mit inzwischen 8 Kindern allein dastehen müsste. Mit einer Einlieferung ins KZ hatte man ihm schon länger gedroht. Aber Mutter hatte nur eine Antwort: ‚Geh Vater und wenn sie uns steinigen!‘ Herr Reppert mußte mit dem Handwagen seine tote Frau von Ludwigshafen zum jüdischen Friedhof in Mannheim fahren. Vater, so hat er uns erzählt, kletterte in der Dämmerung in das Friedhofsgelände und sprach die Psalmen, das Kaddisch, für die Tote. Er wurde nicht entdeckt. Der Sohn, der emigriert war, dankte 1946 mit einem wunderbaren Brief … Jahre zuvor, 1937 (in Heuchelheim), war eine andere große Auseinandersetzung entstanden: Jüdische Mitglieder sollten vom Krankenpflegeverein nicht mehr betreut werden. Schriftlich wandte sich mein Vater gegen diese Verfügung und Mutter unterstützte ihn dann sehr, ging es doch auch um unsere liebe Nachbarin, Frau Adler. Sie sollte plötzlich, weil Jüdin, eine Unperson sein? … Überhaupt bestand bei meinen Eltern eine Achtung vor dem Judentum, die auch uns Kindern weitergegeben wurde. Wissend, dass Jesus bewusster Jude war und das NT ohne das AT nicht denkbar, wurden wir zur Freundschaft mit den Menschen des Volkes Gottes erzogen. Ich weiß noch die tiefe Betroffenheit und Scham meiner Eltern, als der einzige jüdischchristliche Pfarrer der Pfalz, Pfarrer Mannweiler, in die Schweiz emigrieren mußte."

Dass Pfr. Bähr bei allem auch mit den eigenen Leuten, insbesondere mit dem Presbyterium, zu kämpfen hatte, lässt sich u.a. aus einem Brief an das Dekanat Speyer aus dem Jahre 1945 erahnen. Bähr schreibt: "Da das gesamte Presbyterium einschließlich der Ersatzleute unter offenkundiger aktenmäßig belegbarer Bevormundung der Partei zustande gekommen ist, beantrage ich eine völlige Neubesetzung durch die Gemeindeversammlung mit der Möglichkeit einer teilweisen Erneuerung."

Autorin: Ingrid Schellhammer , Jahrgang 1956, arbeitet u.a. die Archive der protestantischen Kirchengemeinde Mutterstadt auf und betreut die Internetseiten der Kirchengemeinde. Die Autorin, auch kommunalpolitisch engagiert, publiziert u.a. dahingehend, die auch in Mutterstadt mit krimineller Energie betriebene Vertreibung des jüdischen Bevölkerungsteils der Vergessenheit zu entreißen.

Fotos und Sonstiges, sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie, sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Siehe Quellennachweis Titel 9 (Nr. 000)

Für Schulen: Multiple-Choice-Fragen zu dem oben stehenden Artikel

- Mehrere Antworten können richtig sein -

Akzeptierte Pfarrer Bähr, im Gegensatz zu der Bevölkerung, die NS-Herrschaft widerspruchslos?

 
ja, er war ein treuer Anhänger der Nationalsozialisten
 
nein, er verurteilte öffentlich u.a. die Synagogenbrandstiftung
 
nein, er half jüdischen Menschen

 

Während der NS-Zeit gab es in der Evangelischen Kirche zwei Gruppierungen. Wie hießen diese?

 
bekennende Kirche
 
deutsche Christen
 
protestantische Christen

 

Eine jüdische Beerdigung in der NS-Zeit durch einen Pfarrer, beziehungsweise jede Art von Hilfe für Juden war verboten. Wie wurde dies bei Zuwiderhandeln geahndet?

 
mit einer Verwarnung
 
mit Verbringen in ein Konzentrationslager
 
mit der Todesstrafe