6.2.2 Ein Auswandererschicksal: Brief von Jakob und Maria Loeb aus Santiago de Chile vom 30.03.1947



Der elegante Herr rechts ist Jakob Loeb, ein Mutterstadter jüdischer Herkunft. [000]

Vorbemerkung:

Jakob Loeb, geb. am 12.09.1893, und seine zweite Frau Maria Loeb, geb. Löb, geboren am 15.06.1902, gelang es vor 1940, nach Chile auszuwandern. Der Vater von Jakob, Nathan Löb, betrieb in Mutterstadt, Speyerer Str. 24, eine bedeutende Viehhandlung. Seine Frau Ida, also die Mutter von Jakob, konnte zusammen mit ihrer Tochter Karola, also der Schwester von Jakob, nach Chicago, USA, via Gurs auswandern. Jakob und Maria konnten sich in Santiago de Chile eine Existenz aufbauen. 1947 schrieben sie nach Mutterstadt an Frau Ida Rockstroh nachstehenden Brief:

Abs. J. Loeb, Santiago de Chile
Carilla 13062 Correo 11.

Santiago de Chile
30.III.47

L. b. Ida und meine Freunde!

Seit kurzem gibt es von hier aus Luftpost nach D. u. so will ich heute mal an meine Mutterstadter Freunde schreiben. Ich hoffe, dass es Dir liebe Ida sowie deinem Jungen und allen meinen Freunden gut geht und ihr bei bester Gesundheit seid.

Uns hier geht es auch gut, wir sind gesund, hätten wir nicht unseren braven Curt verloren, so könnten wir recht zufrieden sein. Am 29. Januar 1943 wurde der hoffnungsvolle Junge uns genommen im Alter von 15 Jahren. Er hatte eine schwere Halsentzündung, das Gift der Mandeln hatte sein Herz vergiftet und die ärztliche Kunst konnte ihm nicht helfen, da es zu dieser Zeit hier noch kein Penizillin gab.

Auch meine Mutter ist am 30.03.1946 in New York gestorben. Maries Mutter und Onkel Adolf sind jetzt vor einigen Tagen in New York angekommen.

Nun will ich Euch etwas von uns schreiben.

Ich bin wieder in meinem alten Beruf. Ich betreibe Milchwirtschaft, habe 2 Kuhställe mit je 16 Kühen. Die Milch wird direkt an die Verbraucher verkauft, die sie im Stall abholen. In dem einen Stall, den wir schon 7 Jahre haben, wohnen wir, er liegt sogar im vornehmsten Viertel der Stadt, der 2. Stall, zu dem ich jeden morgen um 5.30 Uhr mit dem Rad fahre, liegt in einer Arbeitergegend, hier verkaufe ich die Milch, im anderen meine Alte.

Als Angestellte hat man 1 Ehepaar, die eine eigene Wohnung haben und auch sich selbst kochen. Man muss gut aufpassen, die Hiesigen sind sehr verstohlen. Aber ich habe zur Zeit ganz gutes Personal, man sagt ich sei ein guter Chef und alle arbeiten gerne bei uns.

Diese Kühe kaufe ich teils bei Bauern auf dem Lande, aber die meisten kaufe ich auf den Märkten hier in der Stadt. 5 mal in der Woche ist Viehmarkt hier, aber immer woanders.

Die Hiesigen sind richtige Geschäftsleute, egal ob Bauer oder Händler. Es gibt wo 1000 Stück auf einmal verkauft werden, 100 Stück kommt täglich so u. so oft vor. Die Rassen sind die gleichen wie drüben bei Euch, auch geben sie gleich Milch.

Nun wisst Ihr wie wir leben, d. h. unser Norbert ist bei einem Freund von mir im Geschäft und am Sonntag nachmittag verkauft er mit Vorliebe die Milch, er kann fast kein Deutsch mehr und kann sich auch an nicht mehr viel von drüben erinnern.

Nun wer glaubt Ihr meine Freunde, wer an mich geschrieben und Ludw. Maas geschrieben hat, kein anderer wie der Lump Brandenburger, der mich jedes mal hinaus geschmissen hatte, da er keinen Juden mehr bedienen wolle und sich heute rühmen will, mit seinen früheren jüdischen Kunden.

Der mit jüdischem Gelde sein Geschäft aufgemacht hat und dann später mit Wonne die Seife verkauft hat, die hergestellte aus den Juden, die in der Gaskammer gestorben sind .

Ich habe in Mutterstadt gegen niemand einen Hass, selbst nicht gegen die führenden Parteimitglieder, sie waren gegen mich nicht unanständig, aber dieser Lump und die Ehringers (Karl und Jakob), die unsere Synagoge angesteckt haben, mit diesen könnte ich abrechnen. Aber ich glaube für die letzteren wird dies auch ohne mein Zutun kommen, wo sind sie jetzt?

Liebe Ida, gebe diesen Brief auch Bürgermeister Hartmann mit Familie, Wilh. Reber, Familie Stieber, Drissler-Klein, Knots Luise und allen, die Freunde waren, bestelle Grüße, vergiss nicht Schuhpeter Karl, Schifferstadterweg.

Nun seid aus der Ferne herzlichst gegrüßt. Von Eurem Freund Jakob Loeb.

Brief von Maria Loeb

Meine lieben Freunde alle – ohne aufzuzählen, denn alle, die Interesse an uns hatten, gut zu uns waren – zähle ich zu den Freunden! Mein Alter – schrieb ja schon von allem. Wir sind gesund, ich bin glücklich, dass meine liebe Mutter und mein guter Onkel Adolf endlich nach 6 ½-jähriger Gefangenschaft wieder anständig leben können, gut bei unseren Verwandten in USA ankamen. Ich habe viel Arbeit von früh um 6 Uhr an bis abends und um halb 9 Uhr liegen wir todmüde in den Betten. Ich habe wohl ein gutes Dienstmädchen, die nur die Hausarbeit macht und die Wäsche, aber kochen muss ich selbst, da meine Männer lieber die gewohnte Kost haben, als die hiesige.

Auch die Milch verkaufe ich, morgens von 7-9 Uhr und mittags von 2-4 Uhr (hier melkt man nicht am Abend), da die Leute die Milch zum Mittagskaffee schon verbrauchen und den ganzen Tag muss ich natürlich Spanisch sprechen, aber es geht bei uns allen jetzt schon perfekt, hauptsächlich bei Norbert, der nichts mehr von seiner Heimat wissen und hören will. Er hat nur schlechte Erinnerungen.

Mein liebe Mami schickte mir alle Eure Briefe hierher – von Dir, liebe Ida, Luise Kern, Bürgermeister Hartmann – Frau Weimann, Frankfurt, Kätchen Stielbauer auch. Emil Spathelfer´s Schwester schrieb mir – aber es ist unmöglich einzeln zu antworten – es bleibt nur der Sonntag mittag und wie schnell sind die Stunden rum.

Auch an Frau Daubner, Dr. Schubach und Frau – an Otto Deutsch, der treu zu uns hielt, viele innige Grüße an Wilh. Holzwarth u. Fam. – an die ganze Familie Riegel etc.

– Von Euch allen sprechen wir so oft – ich bin viel bei Euch in M. und habe sehr bedauert, dass Emil Spathelfer starb – trotz Uniform war er sehr gut zu meinen Lieben und ich vergesse das niemandem! Ja, wenn ich das nötige Geld hätte, würde ich wohl nach dorten kommen.

Bleibt alle gesund – nächstes Mal sende ich Euch Bildchen von uns – in herzl. Freundschaft grüßt Euch alle – Eure Maria Loeb.

Autoren: Jakob und Maria Loeb, Jahrgang 1893 (Jakob) und Jahrgang 1902 (Maria), ein vor 1940 nach Santiago de Chile ausgewandertes jüdisches Ehepaar, stand, sobald dies nach dem 2. Weltkrieg möglich war, in Korrespondenz zu Freunden in Mutterstadt. Einmal mehr zeigt der Brief nicht nur auf, wie effektiv diese Familie ihre Existenz aufgebaut hatte, sondern auch, dass die emotionale Auseinandersetzung mit ihrer Mutterstadter Vergangenheit sie stark beschäftigte.

Fotos und Sonstiges sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Siehe Quellennachweis Titel 9 (Nr. 000)

Für Schulen: Multiple-Choice-Fragen zu dem oben stehenden Artikel

- Mehrere Antworten können richtig sein -

Wohin sind Jakob und Marie Loeb von Mutterstadt aus ausgewandert?

 
Shanghai
 
New York
 
Santiago de Chile

 

Wie war die Einwanderungspolitik des südamerikanischen Staates Chile?

 
großzügige Visaregelung
 
Visa schwierig zu erhalten
 
Visa-Erhalt nur in Ausnahmefällen

 

Wie hat das Ehepaar Loeb ihren Lebensunterhalt bestritten?

 
Arbeit in der Fabrik
 
Arbeit im Hafen
 
Viehwirtschaft

 

Hat das Ehepaar Loeb ihr Mutterstadter Eigentum verloren?

 
ja, durch Zwangsenteignung
 
durch freiwilligen Verkauf unter Druck
 
Nein, sie haben uneingeschränktes Eigentumsrecht behalten.