7.4.8 Historischer Verein: Gedenkrede vom 22.10.2000 mit Forderung, die Deportationsopfer namentlich auf einer Gedenktafel zu nennen.
– Antragstellung vom 15.11.2000 und Antragsrückzugschreiben vom 16.1.2001 -

In einer würdigen Feier stellten sich alle fünf Parteien des Gemeinderates der Notwendigkeit, die in Mutterstadt bestehende Gedenken- und Versöhnungskultur zu Gunsten der ehemaligen jüdischen Gemeinde fortzusetzen. Hier wird der 60. Wiederkehr des Tages gedacht, an dem der vollständige jüdische Bevölkerungsteil von Mutterstadt, 52 Personen, am 22.10.1940 in das südwestfranzösische Pyrenäenstädtchen Gurs deportiert wurde. [000]

Die 52 Namen der 1940 Deportierten möchte ich nunmehr in eine diese Menschen ehrenden Weise vorlesen:

  1. Marum Esther, geb. am 15.03.1857, Dannstadter Str.
  2. Eppler Isidor, geb. am 10.03.1868, Neustadter Str. 15
  3. Eppler Berta, geb. am 04.06.1872, Neustadter Str. 15
  4. Löb Bernhard, geb. am 02.10.1870, Neustadter Str. 15
  5. Löb Ferdinand, 01.05.1866, Speyerer Str. 46
  6. Löb Friedrich, geb. am 31.05.1866, Speyerer Str. 46
  7. Löb Lina, geb. am 06.07.1879, Speyerer Str. 58
  8. Löb Charlotte, geb. am 28.01.1969, Speyerer Str. 58
  9. Dellheim, Klara, geb. am 17.10.1878, Speyerer Str. 11*
  10. Metzger Leo, geb. am 16.12.1876, Speyerer Str. 1
  11. Metzger Berta, geb. am 29.08.1884, Speyerer Str. 1
  12. Maas Isidor, geb. am 28.03.1876, Speyerer Str. 11
  13. Maas Klara, geb. am 18.05.1877, Speyerer Str. 11
  14. Kahn Johanna, geb. am 25.11.1861, Speyerer Str. 48
  15. Löb Jenny, geb. am 25.01.1878, Neustadterstraße 2
  16. Öhlbert Emma, geb. am 29.07.1880, Obere Kirchstraße 4
  17. Öhlbert Meta, geb. am 03.03.1896, Speyerer Str. 46
  18. Öhlbert Marianne, geb. am 10.05.1922, Speyerer Str. 46
  19. Öhlbert Edith, geb. am 10.05.1922, Speyerer Str. 46
  20. Sundelowitz Leo, 15.03.1885, Rheingönheimer Str. 30
  21. Löb Franziska, geb. am 04.06.1878, Speyerer Str. 86
  22. Löb Adolph, geb. am 25.11.1872, Neustadter Str. 2
  23. Löb Max, geb. am 11.10.1968, Speyerer Str. 1
  24. Löb Sara, geb, am 01.05.1869, Speyerer Str. 1
  25. Löb Helene, geb. am 28.12.1998, Speyerer Str. 1
  26. Löb Ida, geb. am 30.10.1868, Speyerer Str. 24
  27. Löb Roslie, geb. am 18.09.1867, Speyerer Str. 46
  28. Dellheim Karola, geb. am 17.07.1897, Speyerer Str. 24
  29. Löb Eugen, geb. am 16.11.1875, Speyerer Str. 1
  30. Dellheim Julius, geb. am 06.06.1885, Friedensstraße 8
  31. Dellheim Amalie, geb. am 07.06.1891, Friedensstraße 8
  32. Dellheim Tilli, geb. am 28.05.1921, Friedensstraße 8
  33. Neu Hermann, geb. am 11.03.1888, Neustadterstraße 15
  34. Öhlbert Irma Meta, geb.22.07.1915, Obere Kirchstraße 4
  35. Öhlbert Kora Selma Thea, geb. am 23.08.1920, Obere Kirchstraße 4
  36. Löb Thekla, geb. am 15.02.1882, Rheingönheimer Str. 23
  37. Löb Julius, geb. am 13.02.1908, Rheingönheimer Str. 23
  38. Weiler David, geb. am 14.06.1879, Rheingönheimer Str. 23
  39. Weiler Erna, geb. am 20.01.1878, Rheingönheimer Str. 23
  40. Sundelowitz Johanna, geb. am 29.06.1891, Rheingönheimer Str. 30
  41. Sundelowitz Jenny Irmgard, geb. am 28.07.1922, Rheingönheimer Str. 30
  42. Sundelowitz Abraham Arnold, geb. am 28.06.1924, Rheingönheimer Str. 30
  43. Sundelowitz Elias (Siegbert), geb. am 31,03,1901, Rheingönheimer Str. 30
  44. Löb, Abraham Otto, geb. am 31.03.1901, Speyerer Str. 86
  45. Löb, Elsa, geb. am 29.07.1886, Speyerer Str. 48
  46. Löb, Lisa Regina, geb. am 13.03.1891, Speyerer Str. 46
  47. Löb, Arthur, geb. am 24.11.1893, Speyerer Str. 58
  48. Löb, Selma, geb. am 04.09.1893, Speyerer Str. 58
  49. Dellheim Emil, geb. am 03.06.1892, Speyerer Str. 11
  50. Marx Emma, geb. am 03.06.1879, Speyerer Str. 11
  51. Dellheim Isabella, geb. am 15.10.1887, Speyerer Str. 1

Verbunden mit der die Opfer ehrenden Verlesung der Namen wird die Forderung erhoben, diese namhaft zu machen und ihnen dadurch wieder ein Gesicht zu geben und Gerechtigkeit zu üben. Gleichzeitig wäre damit den in Deutschland lebenden ca. 100 000 Juden signalisiert, dass sie bei ihren Mitbürgern willkommen sind. [000]

Antragsschreiben des Historischen Vereins vom 15.11.2000 an die Gemeindeverwaltung, eine Gedenkmaßnahme durchzuführen, die die Gurs-Deportationsopfer namentlich nennt. [000]

Vorbemerkung:

Anlässlich der 60. Wiederkehr der Deportation Mutterstadter Bürger jüdischer Herkunft am 22.10.1940 in das südwestfranzösische Pyrenäenstädtchen Gurs initiierten alle Fraktionen der im Gemeinderat vertretenen Parteien eine Gedenkveranstaltung zu Ehren der Opfer. Unter Mitwirkung des Historischen Vereins der Pfalz e. V., Ortsgruppe Mutterstadt, fand u.a. eine Kranzniederlegung im Ehrenhof des Neuen Friedhofes statt. Neben verschiedenen Ansprachen wurde vom Beauftragten des Historischen Vereins Herbert H.W. Metzger nachstehender Redebeitrag geleistet.

Darin wird die Forderung erhoben, eine Namensgedenktafel zu platzieren. Diese Forderung löste zu einem späteren Zeitpunkt Reaktionen aus, Reaktionen der Abwehr aber auch der Zustimmung.

Am 11.12.2001 entschied sich der Gemeinderat, der Aufforderung bezüglich der Namensgedenktafel Folge zu leisten. Im April 2002 wurde der Auftrag, die Tafel handwerklich umzusetzen, an das Bildhaueratelier Thiele in Ludwigshafen vergeben.

Hier der Redebeitrag:

Meine Damen und Herren,

als Vertreter des Historischen Vereins bedanke ich mich dafür, dass wir die Gelegenheit haben, vor Ihnen und vor den Fraktionen des Gemeinderats unsere Meinungen kundzutun.

Unser Verein hat seinen Vereinszielen entsprechend seit seiner Gründung 1980 u. a. die Geschichte seiner Bürger jüdischen Glaubens aufgearbeitet. Als Beispiel:

  • Das so genannte „Zeitpfeil-Display“ im Museum für Ortsgeschichte zeigt rückhaltslos auch die Naziepoche und das damit verbundene Schicksal.
  • Die Vitrine „Religiöse Gemeinschaften“ beschäftigt sich mit ihrer Geschichte.
  • Mit den Nachkommen dieser Bürger wurde und wird ein reger Austausch von Meinungen praktiziert.

Über diese Fakten hinaus müssen wir als Verein, aber auch als Bürger z. B. an einem Tag wie heute, Schlussfolgerungen aus unserer Ortsgeschichte ziehen:

  • Zu viele Bürger, dazu gehört auch der Verfasser unserer Ortschronik, haben relevante geschichtliche Ereignisse ignoriert oder verniedlicht.
  • Und die weitere Erkenntnis, dass sich unser Gemeinwesen den Bürgern jüdischen Glaubens gegenüber ungerecht verhalten hat.
    Wir haben nicht verhindern können, dass sie gedemütigt, in Todesangst versetzt und absoluter Schutzlosigkeit ausgesetzt wurden.
    Heute am 60. Gedenktag bezügl. der Gurs-Deportation, also 60 Jahre danach, glaube ich, haben wir, die Bürger, eine Chance die
  • zu korrigieren und
  • ein Zeichen zu setzen auch gegen den wieder aufflammenden Antisemitismus meist junger, ungebildeter, oftmals perspektivloser Jugendlicher und deren intellektuellen Drahtzieher.

Ich habe deshalb als Mitglied des Vorstandes unseres Vereins an Herrn Gerald Becker, den Vorsitzenden, einen Antrag gerichtet, einen Beschluss über ein Mahnmal herbeizuführen und diesen über die Gemeindeverwaltung an den Gemeinderat zu richten. Aus diesem Antrag erlaube ich mir zu zitieren:

Anlässlich der Gurs-Deportation von ehemaligen Mutterstadtern jüdischen Glaubens am 22.10.1940 soll beschlossen werden, ein Mahnmal zu errichten, das die Namhaftmachung der Deportierten zum Inhalt hat und dreifach gegliedert ist:

  1. Im Lager Gurs umgekommene Bürger
    = 14 Personen
  2. Bürger die über Drancy (bei Paris) in das Todeslager Auschwitz (bei Kattowitz/Polen) transportiert und dort vergast wurden bzw. verstorben sind.
    = 22 Personen
  3. Personen, die die Freiheit erlangt haben
    = 15 Personen

Namen gemäß der Namenslisten nach Recherchen von Hermann Magin, Speyer, einem gebürtigen Mutterstadter.

Nach Wahl des Gemeinderates sollen die Namen, der Geburts- und Todestag auf gegossenen/behauenen Steinen, Dimension 10cm hoch, 20 cm breit, Tiefe nach Wahl, auf deren Längsseiten, also im Format 10 x 20 cm, als Relief hervortreten. Die Steine sollen dann in eine 24 cm starke ca. 1,20 m hohe Begrenzungsmauer des Jüdischen Friedhofes, in einer Weise eingemauert werden, dass diese ca. 6 cm zur Pfalzring – Straßenseite hin hervorstehen. Umseitiger Abstand der Gedenksteine: ca. 10 cm.

Diese Anordnung würde es ermöglichen, bei Besuch des Friedhofes kleine Erinnerungssteine auf dem Vorsprung zu platzieren, was jüdischer Brauch ist und die Toten ehrt.

Den Namensteinen zuzuordnen und somit in das Mahnmal einzubeziehen ist eine gegossene Metalltafel oder vergleichbar, auf der mit erhabenen Buchstaben und Ziffern folgender Text aufgenommen werden soll:

„Die Bürger von Mutterstadt ehren mit der Namhaftmachung der am 22.10.1940 nach Gurs deportierten Mitbürger jüdischen Glaubens, die gesamte jüdische Gemeinde, die von 1722 bis 1940 hier lebte.

Weiterhin soll der Gemeinderat prüfen, ob nicht mit der katholischen und protestantischen Kultusgemeinde, vertreten durch die Pfarrer Matt und Jung, zwecks finanzieller Unterstützung der Maßnahmen Kontakt aufgenommen wird.

Im Rahmen einer Kollekte würde es den Mutterstadtern Bürgern ermöglicht werden, sich mit den Deportationsgedenkmaßnahmen zu solidarisieren.

Im gleichen Sinne ist die übrige Bevölkerung durch eine öffentliche Bekanntmachung zu einer Spendenbeteiligung aufzurufen.

Die Meinung der Jüdischen Gemeinde Rheinland-Pfalz, Neustadt an der Weinstraße, Herr Kindermann, ist einzuholen.

Der Beschluss des Gemeinderates soll anlässlich der 60. Wiederkehr des Deportationstages (22.10.1940) gefasst werden und unter dem Hinweis, dass es sein Wille ist, ein Zeichen zu setzen gegen den wiederaufflammenden Antisemitismus und mit dem Wunsch sich in demokratischer, antinazistischer und liberaler Weise zu distanzieren.

Alternativ wie vor, jedoch soll die Platzierung des Mahnmals im Innern des Ehrenhofes des Neuen Friedhofs, an der Mauer zum Pfalzring hin erfolgen.

Ein Gremium aus je einem Vertreter der im Gemeinderat vertretenen Fraktionen, der Gemeindeverwaltung der katholischen und protestantischen Kirche und des Historischen Vereins soll gebildet werden, um Weiteres festzulegen.

Meine verehrten Damen und Herren,

einige der hier Anwesenden tragen als Kommunalpolitiker große Verantwortung für unser Gemeinwesen. Sie bestimmen den Willen ihrer Fraktionen in oftmals entscheidender Weise mit!

Wir, der Historische Verein, bitten Sie obigen Antrag zu unterstützen, denn, meine Damen und Herren, wir würden den Deportierten und der Jüdischen Gemeinde wieder ein Gesicht geben, darüber hinaus den ca. 100 000 Deutschen jüdischer Herkunft hier in Deutschland das unbedingt notwendige Gefühl geben, dass sie bei ihren Mitbürgern willkommen sind.

Lassen Sie uns GERECHTIGKEIT üben!

Diese Rede und die damit verbundene Forderung, eine Namensnennung der Gurs-Deportationsopfer vorzunehmen, löste einerseits Aktivitäten, andererseits Reaktionen aus. Aktiv wurde vor allem die Vorstandschaft des Historischen Vereins, die mit Schreiben von 15.11.2000 nach einem entsprechenden einstimmigen Vorstandsbeschluss an die Gemeindeverwaltung herantrat als Berechtigte dem Gemeinderat einen derartigen Antrag zu unterbreiten. Dies mit dem neben gezeigten Schreiben.

Eine wichtige Rolle dabei spielten auch die protestantische und katholische Kirche unter Federführung der Pfarrer Jung, Schwarz und Matt, die in ihren Kirchenparlamenten entsprechende Zustimmung in unterstützendem Sinne erhielten und der Gemeindeverwaltung mitteilen. Diese Gremien repräsentieren immerhin mehr als 10 000 Bürgerinnen und Bürger.

Gleichzeitig wurden Rede und Antrag in der Presse abgehandelt, somit in der Bevölkerung bekannt. Kontroverse Diskussionen in der Vorstandschaft des Historischen Vereins und in der Mitgliederschaft, aber auch die Meinung, dass ein historischer Verein nicht geeignet sei einen derartigen Antrag zu stellen, führten zu einem Mehrheitsbeschluss. Eine erneut auf die Tagesordnung gesetzte Abstimmung in dieser Angelegenheit besagte, dass der erste positive Beschluss der Vorstandschaft aufgehoben sei.

Mit Schreiben vom 16.01.2001 wurde der relevante Antrag vom 15.11.2000 zurückgezogen.

Autor: Herbert H.W. Metzger, Jahrgang 1940, unternehmerisch tätig, amtierte von 1980-1990 als Gründungsvorstand des Historischen Vereins der Pfalz e. V., Ortsgruppe Mutterstadt. Im Rahmen von zwei Bürgeraktionen und Herausgeber dieser Publikation engagiert er sich, das Unrecht, begangen an der ehemaligen jüdischen Gemeinden in Mutterstadt und der Pfalz, aufzuarbeiten und vor allem die Jugend über das Schicksal des Pfälzer und Mutterstadter jüdischen Bevölkerungsteil zu informieren.

Fotos und Sonstiges sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Siehe Quellennachweis Titel 9 (Nr. 000)

Für Schulen: Multiple-Choice-Fragen zu dem oben stehenden Artikel

- Mehrere Antworten können richtig sein -

Wie viele Bürger jüdischer Herkunft wurden am 22.10.1940 nach Gurs deportiert?

 
10 Personen
 
52 Personen
 
ca. 200 Personen

 

Wenn Menschen anderen Menschen Unrecht tun, muss man sich dazu bekennen. Warum?

 
Es ist dies eine Frage der Gerechtigkeit.
 
Nein, wenn Unrecht vor 60 Jahren begangen wurde, ist das verjährt.

 

Was soll den Deutschen jüdischer Herkunft u.a. signalisiert werden, wenn man die Deportationsopfer namentlich nennt?

 
Sie werden von den übrigen Bürgern geachtet.
 
Das hat mit denjenigen Juden in Deutschland nichts zu tun.Das hat mit denjenigen Juden in Deutschland nichts zu tun.
 
Man gibt den Opfern wieder ein Gesicht.