Involviert in den Dellheim´schen Besuch 1994: Gerhard Koch, ganz rechts, langjähriger Freund der Herren Strub, Metzger und Werner Dellheim. Hier in freundschaftlichem Gespräch mit Oskar Kröher, 2. v. rechts, daneben Werner yDellheim. Die Fahrradhändlerfamilie Koch war jeder jüdischen Mutterstadter Familie bekannt. [000]
Betrifft Pferdekaufvertrag Roland Strub/Werner Dellheim: Selbstverständlich muss eine Transaktion, wie dies der Lufttransport von drei Pferden darstellt, professionell vorbereitet werden. [000]
Millionen Deutsche fliegen 2002 jährlich in die USA. Doch wie viele Pferde? Und wie viele Pferde werden von einem jüdischen und einem nichtjüdischen Geschäftspartner auf diese Weise auf den Weg gebracht? Lassen wir es als ein Symbol der Freundschaft und Normalität zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen! [000]
Werner Dellheims durch die halbe Welt führender Lebensweg, die für ihn und Ehefrau Alma in seiner ehemaligen Heimat wichtigsten Begegnungen mit Freunden und eine Geländekutschenfahrt quer durch den Pfälzer Wald bis Pirmasens schildert obiger Zeitungsbericht. Die aufregende, nicht ungefährliche Kutschenralley endete im Haus des Volkssängers Oss Kröher und seiner Frau Gretel. [000]
Der aus der Eisenbahnstraße in Mutterstadt stammende, 1934 geborene Roland Strub hat sich ab den 1960er Jahren zusammen mit seiner Ehefrau Brigitte ein größeres Schreinereiunternehmen mit Sitz in Dannstadt-Münchhof aufgebaut.
Sein Vater betrieb in der Eisenbahnstraße, also im Oberdorf von Mutterstadt, eine kleine Schreinerei und hatte dadurch engen Kontakt mit seinen Kunden, u.a. jüdische Familien, die sich bevorzugt in diesem Bereich des Ortes angesiedelt hatten.
Als Heranwachsender hatte er auf eine sehr persönliche Art die erste Begegnung mit einem jüdischen Schuljungen: Werner Dellheim (1938).
Als Erwachsener eine Begegnung der außergewöhnlichen Art: ebenfalls mit Werner Dellheim (1994).
Zuvor sollten jedoch noch einige Überlegungen zur Sprache kommen, die es dem geneigten Leser ermöglichen, speziell die wohl eher seltene Tatsache eines Pferdelufttransports aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland 1994 besser zu verstehen:
Die Familie Strub hatte 1938 gerade das Weihnachtsfest gefeiert. Einerseits war die Stimmung in der Bevölkerung nicht schlecht. Deutschland hatte seine „Neue Zeit“ wie die Hitleranhänger die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Änderungen nannten. Andererseits waren die Strubs beunruhigt, weil drei Monate zuvor die Mutterstadter Synagoge verbrannt worden war. Auch beunruhigt deshalb, weil der in der Nachbarschaft wohnenden jüdischen Pferdehändlerfamilie Dellheim und anderen jüdischen Familien durchaus der Eindruck vermittelt wurde, dass die „Neue Zeit“ auch ihre Opfer hatte. Man munkelte, dass „die“ Juden „fort mussten“.
Und da gab es noch den kleinen Roland, der immer als 5. Rad der doch so viel erwachseneren 15-jährigen Dellheimschen Werner und seiner Klicke am Rockzipfel hing!
Aber wie auch immer: Der stets neugierige Roland ließ sich, vielleicht auch aus Mangel an Alternativen, beim Herumtreiben u.a. in den Dellheimschen Pferdestallungen nicht abwimmeln. Mit Erfolg: Als es im Januar 1939 für Werner per Zug ab Ludwigshafen nach England „auf Kindertransport“ ging, schenkte ihm dieser seinen Schulranzen. Natürlich ein bisschen von oben herab, das versteht sich bei einem so kleinen Wurm wie es der Roland war. Das Geschenk hat der Roland nie vergessen!
Nun ein Zeitsprung von 23 Jahren. Im Jahr 1962 kommen in dem als Bar eingerichteten Bühnennebenzimmer der alten TSG-Turnhalle während einer Faschingsveranstaltung zwei junge Männer zusammen, die in diesem Interview als Frager und Befragter auftreten. Sie schließen eine lebenslange Freundschaft, was letztlich auch bedeutet, dass sich der eine um den anderen kümmert und den jeweils anderen an seinen Erfolgen, Niederlagen, Sorgen, Wünschen, Hobbys und sonstigen Leidenschaften teilnehmen lässt.
Der in diesem Interview Fragende hatte in den 1980er Jahren begonnen, sich mit dem Verbleib der ehemaligen jüdischen Familien auseinanderzusetzen. Er hatte nachgeforscht und Kontakte teils auch offizieller Art zwischen den vormals emigrierten Mutterstadtern und der Mutterstadter Gemeindeverwaltung geknüpft. Roland wusste davon. Um es kurz zu machen: In den 1980er Jahren wurde die 1994 durch einen offiziellen Empfang in Mutterstadt geehrte Familie Werner Dellheim mit der Familie Roland Strub besser bekannt und weckte bei Roland Strub und seiner Familie Emotionen aus Kindheitserinnerungen.
Die Kindheitserinnerungen von Roland spielten dabei eine wichtige Rolle. Mehr als alles aber brachte die beiden gestandenen Männer, Roland und Werner, jedoch ihre Liebe zu Pferden zueinander.
Roland hat Zeit seines Lebens die Beschäftigung mit Tieren, insbesondere mit den oft gar nicht so gehorsamen Pferden, als Inbegriff von Individualität und Freiheit betrachtet. Auf der anderen Seite gab es den Werner Dellheim, der ebenfalls Zeit seines Lebens u.a. deshalb mit Pferden auf du und du lebte, weil seine Familie seit 1722 in Mutterstadt mit Pferden handelte, er in den USA Vollblutpferde züchtete und in dieses Unternehmen bereits seinen Sohn Norman miteinbezogen hatte.
Die Freundschaft zwischen Roland und Werner war perfekt. Mit Folgen: Zusammen mit Gerhard Koch fliegt er am 22.02.1994 mit der Lufthansamaschine LII462 nach Miami/USA zu Werner. „My first Cut“, „ Men in War“, „Royals Poco Doll“, ein Quarter Hose Buckskin Tilly, im Lufttransport Nr. 220-3019 765 der Lufthansa-Spezialmaschine nach Deutschland sind u.a. sichtbare Ergebnisse des Besuches in Ocalla. Roland war stolzer Besitzer von drei wunderschönen Pferden. Eines davon, Chertmint Colt, rennt für die Strubschen Farben noch heute 2002 auf deutschen Pferdebahnen.
Lassen wir nun Herrn Strub erzählen:
1. Frage: Bei dem Stichwort „Juden und du“ gehen mir drei Begriffe, über die du mir vor einiger Zeit bereits erzählt hast, durch den Kopf: Die Geschichte mit deinem Schulranzen, der Leichenzug auf dem zweirädrigen Handwagen und der Pferdelufttransport aus den Vereinigten Staaten. Würdest du bitte zunächst die Schulranzengeschichte aus dem Jahr 1938 erzählen?
Herr Strub: Zunächst will ich festhalten, dass die Eltern, ja die Großeltern von Werner Dellheim bereits mit den Strubs Freundschaften hielten. Beispielsweise war mein Großvater August Seiter Vieh-, Kartoffel- und Holzhändler, mein Strubgroßvater selbstständiger Fuhrmann. Als Berufskollegen im Viehhandel oder als Pferdekäufer für das Fuhrgespann: Man arbeitete nicht gegeneinander, man hatte Berührungspunkte und man vertraute einander. Die Geschichte mit dem Schulranzen ist so: Werner Dellheim war in der höheren Schule in Ludwigshafen und hatte einen schönen dunklen glanzledernen Schulranzen mit den Initialen „WD“. Als dieser um Weihnachten 1938 wusste, dass er im Januar 1939 auf „Kindertransport“ nach England ging, schenkte er mir diesen. Mein Vater nietete ein kleines Blechschild mit meinem Namen auf die Initialen „WD“. Ich habe den Ranzen nach dem Krieg noch als Aktentasche für meine Arbeitsstelle in der BASF benutzt.
2. Frage: Wie verhielt es sich 1940 mit dem Leichentransport vom Oberdorf auf den jüdischen Friedhof?
Herr Strub: Die Sundolowitzbuben in der Rheingönheimer-Straße, der Arnold, der Siegfried und ihre Schwester Rosa waren Cousin bzw. Cousine zu Werner Dellheim. Vater Sundolowitz war der letzte Rabbiner hier in Mutterstadt. Dort, in den Sundolowitz’schen Pferdestallungen, die zu diesem Zeitpunkt durch die Deutsche Wehrmacht genutzt wurden, trieben wir uns immer herum. Im Januar 1940, also vor der Deportation im Oktober 1940 verstarb Henriette Dellheim, Mutter von Arthur Dellheim, Baltimore, in der Schulstraße. Mit einem zweirädrigen Stoßkarren, wie ihn die Maurer und Gipser benutzten, holten Siegfried und Arnold den Sarg ab und brachten diesen ohne jegliches Zeremoniell auf den Judenfriedhof in ein Grab, das diese zuvor ausgehoben hatten. Mein 5-jähriger Bruder Rudi und ich als 7-Jähriger waren die einzigen, die nebenher liefen.
Niemand zeigte Anteilnahme oder war am Friedhof anwesend, weil dies nicht erwünscht war. Alles wurde „unter der Hand“ erledigt. Ich weiß noch, dass ein paar Wochen später die gesamte Familie Sundolowitz in einen dunkelblauen Bus mit schwarzgestrichenen Scheiben fortgebracht wurde. Bereits 1942/43 sagte man mir, dass die Juden vergast werden. Das wusste, glaube ich, jeder.
3. Frage: Wie hast du mit dem anfänglichen Gentleman-Ranger und späteren professionell erfolgreichen Vollblutpferdezüchter Werner Dellheim wieder Kontakt aufgenommen und welche Geschäfte hast du 1994 mit ihm abgewickelt?
Herr Strub: Nach dem Kriege bis 1994 war der Werner vielleicht zehn Mal in Mutterstadt. Zuerst war seine Anlaufstelle sein zunächst nach Argentinien emigrierter und nach dem Kriege zurückgekehrter Onkel Simon Marx. Simon war ein Original: Sänger, Tänzer, Alleskönner und ein begabter Händler für Gegenstände und Tiere aller Art. Mit meinem Freund Gerhard Koch und Simon hatten wir manche Erlebnisse, meist vergnüglicher Art, ausgeheckt in der Wirtschaft im Oberdorf „Zur Harmonie“. Simon lebte in der Dannstadter-Straße, wo auch Alma Grübel zu Hause war, die Werner Ende der 1950er Jahre heiratete.
Ich selbst habe Werner auch des Öfteren in Florida besucht. Aus der Bewunderung heraus für seine Ranch und Pferdezucht, sowie der ganzen gepflegten Atmosphäre seines Zuchtbetriebes, entschloss ich mich, drei Pferde für mich und ein Jahr später nochmals drei Pferde auf Rechnung von Freunden per Luftfracht zu importieren. Das war 1994. Noch heute 2002 habe ich ein Pferd auf der Rennbahn laufen. Es taugt aber nicht viel für 1. Preise, so dass es jetzt im Herbst bei mir in den Stall kommt.
Wenn man es genau nimmt: Werner und ich haben die Geschäftstransaktionen unserer Eltern und Großeltern nach dem Kriege fortgesetzt, nur mit Hilfe von Flugzeugen über zwei Kontinente. Da schüttelt man nur noch den Kopf! Wenn Werner hier ist, unternehmen wir immer auch etwas mit Pferden, beispielsweise Kutschenfahrten über lange Distanzen.
4. Frage: Du hast eine Tochter Iris und einen Sohn Georg, dein Geschäftsnachfolger. Haben diese beiden Kontakt zu jüdischen Familien?
Herr Strub: Werner und ich, natürlich auch unsere Frauen, sorgten und sorgen dafür, dass seine Söhne Ralph und Norman, letzterer ein Pferdehändler und –trainer und ihre Familien mit unserer Iris und dem Georg, unserem Sohn, Freundschaft halten. Im Herbst 2002 fliegt Georg mit Freundin Sabine zu Norman und Frau Peggy nach Florida. Brigitte und ich freuen uns sehr, dass alles so gekommen ist!
Autor: Herbert H.W. Metzger, Jahrgang 1940, unternehmerisch tätig, amtierte von 1980-1990 als Gründungsvorstand des Historischen Vereins der Pfalz e. V., Ortsgruppe Mutterstadt. Im Rahmen von zwei Bürgeraktionen und Herausgeber dieser Publikation engagiert er sich, das Unrecht, begangen an der ehemaligen jüdischen Gemeinden in Mutterstadt und der Pfalz, aufzuarbeiten und vor allem die Jugend über das Schicksal des Pfälzer und Mutterstadter jüdischen Bevölkerungsteil zu informieren.
Fotos und Sonstiges sowie die dazugehörenden Texte sowie die Autoren-Kurzbiographie wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Siehe Quellennachweis Titel 9 (Nr. 000)