8.2.3 Die 2. Bürgeraktion „Gedenkmaßnahmen für nach Gurs deportierte Mutterstadter jüdischer Herkunft“
– Internetauftritt www.judeninmutterstadt.org einschließlich Begleitbücher -

Obige Denkschrift vom 20.12.01 bereitet die Internet- und Buchpublikation „Die ehemalige Mutterstadter jüdische Gemeinde, die Gurs-Deportation 1940 und Auschwitz“ vor. Sie führt zur Gründung der 2. Bürgeraktion „Gedenkmaßnahmen für nach Gurs deportierte Mutterstadter jüdischer Herkunft“. Diese versteht sich als Nachfolgebürgeraktion mit Namen „Gedenktafel für deportierte Mutterstadter jüdischen Glaubens“. Das wichtigste Anliegen ist es, Schülerinnen und Schüler via Internet mit relevanten Informationen über das NS-Unrecht 1933-1945 zu informieren. [000]

Ab den 1980er Jahren wurde deutschlandweit von Bürgern und u.a. von historischen Vereinen der NS-Opfer gedacht und auf eine Aussöhnung hingearbeitet. Es ist jedoch, Stand 2002, einmalig, dass sich eine Bürgerinitiative auf immerhin 450 DIN A4 Seiten und mit Hilfe des Internets an Schülerinnen und Schüler wendet: Die meisten der insgesamt ca. 135 Kurzgeschichten sind mit einem sich darauf beziehenden Fragekatalog ausgestattet, der im Religions-, Ethik- und Geschichtsunterricht bearbeitet werden kann. [000]

Der Bürgeraktion mit ihrem Internetauftritt www.judeninmutterstadt.org ist es wichtig, die Ziele ihrer Aktivitäten herauszustellen: Diese können im vollen Umfang auf Seite 1 nachgelesen werden. Die zwei wichtigsten Ziele sind: Den nach Gurs Deportierten einen Namen, ein Gesicht, eine Geschichte zu geben. Weiterhin will man u.a. den Mutterstadter Schulen und anderen und anderen Interessierten einen relevanten Infopool zur Verfügung stellen. [000]

Die Forderung der Mitglieder der 1. Bürgeraktion "Gedenktafel für deportierte Mutterstadter jüdischen Glaubens" nach einer Namensgedenktafel zu Ehren des ehemaligen jüdischen Bevölkerungsteils hatte durchaus ein positives Echo in der Mutterstadter Bevölkerung. Als dann noch der Gemeinderat mehrheitlich im Dezember 2001 die Platzierung der Gedenktafel im Ehrenhof des Neuen Friedhofes beschloss, schien das Anliegen der Bürgeraktion zunächst erfüllt.

Doch die Sprecher dieser Bürgerinitiative beschlich der leise Verdacht, dass eine Namensgedenktafel alleine ein verständliches, dem ganz normalen Leben entsprechendes Schicksal beschieden sein könnte: nur an besonderen Tagen in das Gedächtnis der Bevölkerung gerufen zu werden.

Das Kriegerdenkmal auf dem Alten Friedhof aus dem Jahr 1871, welches bis in die 1930er Jahre die Mutterstadter auf das Tiefste ansprach – und dann nicht mehr –, ist ein gutes Beispiel.

Es gab darüber hinaus weitere Überlegungen: Wenn eine Gedenktafel auch eine Mahnung sein soll, muss sich eine solche auch an die Jugendlichen richten. Wie aber erreicht man im Multimediazeitalter die Jugend? Mit einer abseits gelegenen Gedenktafel? Dazu noch auf einem Friedhof? Kurz: Der Gedanke wurde geboren via Internet diesen jungen Menschen ein Informationsangebot zu machen.

Die nebenstehende Denkschrift fasst die Überlegungen zusammen, die den Mitgliedern der 1. Bürgeraktion „Gedenktafel für deportierte Mutterstadter jüdischen Glaubens“ Ende Dezember 2001 zugänglich gemacht wurde. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2002 wurde das Gesamtinhaltsverzeichnis erarbeitet, welches ca. 135 Kurzgeschichten verschiedener mit Mutterstadt verbundener Autoren aufzeigt.

Im Mai 2002 gründeten der protestantische Pfarrer Jung, der katholische Pfarrer Matt und der Herausgeber Metzger die 2. (Nachfolger-) Bürgeraktion, bestellten sich als Sprecher und luden weitere Persönlichkeiten zum Beitritt ein.

Verantwortlich für das Entstehen der Bürgeraktion war der Rückzug eines an die politische Gemeinde Mutterstadt gerichtete Antrag des Historischen Vereins der Pfalz e.V., Ortsgruppe Mutterstadt, eine Namensgedenktafel für die 52 Bürgerinnen und Bürger, die 1940 nach Gurs deportiert wurden, an einer geeigneten Stelle im Ortsbereich zu platzieren. Der Rückzug des Antrags seitens des Historischen Vereins erfolgte gegenüber dem Bürgermeister im Rahmen einer Besprechung im Rathaus mündlich und per Übergabe eines entsprechenden Schreibens. Anwesend dabei waren u.a. der protestantische und katholische Pfarrer.

Nach Tagen des Nachdenkens „wie es nun weiter gehen sollte“ ergriff der Pfarrgemeinderat der katholischen Kirchengemeinde unter seiner Vorsitzenden Maria Faßnacht die Initiative und setzte sich im Auftrag der Pfarrgemeinde mit Gleichgesinnten in Verbindung, was letztlich zur Gründung der 1. Bürgeraktion „Gedenktafel für Mutterstadter jüdischen Glaubens“ führte.

Nach Erreichen der Ziele dieser Bürgerinitiative wurde es aus formaljuristischen Gründen notwendig, für die Internetaktivitäten ergänzende Internetdokumentation mit dem Namen „Die ehemalige Mutterstadter jüdische Gemeinde, die Gurs-Deportation 1940 und Auschwitz“ die 2. Bürgeraktion zu gründen mit dem Namen „Gedenkmaßnahmen für die nach Gurs deportierten Mutterstadter jüdischer Herkunft“.

Der Tätigkeit der Bürgeraktion „Gedenkmaßnahmen für nach Gurs deportierte Mutterstadter jüdischer Herkunft“ liegen mehrere Überlegungen zu Grunde:

  • Schülerinnen und Schüler im „Gurs-Deportationsgebiet“, also im Saarland, der Pfalz und in Baden, insbesondere auch an Mutterstadter Schulen anzusprechen, um diese mit der Geschichte der ehemaligen jüdischen Gemeinde und deren Schicksal in der nationalsozialistischen Zeit vertraut zu machen. Es sollen jungen Menschen Informationen an die Hand gegeben werden, die diese gegen die Argumentationen der Neonazis verwenden können.
  • Damalige Opfer, teils verstorben, teils noch lebend, als Autoren im Internet und in einem Begleitbuch in deutscher und englischer Sprache zu präsentieren und deren schriftliche Berichte und Aussagen auf Dauer einem interessierten Publikum vorzuhalten. Beispiele: Ida Loeb, Ernest Loeb, Werner und Alfred Dellheim, Heinz Eppler, Ruth und Rudi Külbs. Es soll durch das Einbinden der damaligen Opfer in unsere Bürgeraktion und deren Aktivitäten vermieden werden, dass es zu einer Polarisierung „Opfer gegen Unrechtsaufarbeiter“ kommt. Die Bürgeraktion ist der Meinung, dass „die Opfer“ keine Sonderposition möchten und sich als ehemalige Mutterstadter und sonst nichts verstehen.
  • Durch das Einbinden von US-Autoren, die, wie auch immer, einen Bezug zu Mutterstadt haben, die Gelegenheit zu geben, zu der Thematik Stellung zu nehmen. Dies in Bezug auf die Judenverfolgung in der Nazizeit und der Gedenk- und Versöhnungskultur in Deutschland bis in unsere Tage. Beispiele: Nasir Shansab, ein Muslim, Joseph Lasman, ein Jude und Günther Widemann, ein Christ, alle US-Bürger.
  • Die Meinung dieser Co-Autoren und US-Bürger ist u.a. deshalb von Interesse, weil die Vereinigten Staaten, wo diese leben, die meisten der Gursopfer, soweit diese emigrieren konnten, aufgenommen haben. Es wird eine völkerverständigende Zusammenarbeit angestrebt.
  • Letztlich will die Mutterstadter Bürgeraktion durch die weltweite Verbreitung von bestehenden Publikationen in Zusammenhang mit der ehemaligen jüdischen Gemeinde ihres Heimatortes deren schriftstellerische Mühen durch die Verbreitung im Internet und als Begleitbuch entsprechend gewürdigt sehen.

Autorenbeispiele: Bernhard Kukatzki, Hermann Magin, Hermann Morweiser, Ingrid Schellhammer, Leon-hard Sebastian u.a.

In diesem Zusammenhang muss auch die Funktion der Mutterstadter protestantischen Kirche mit ihren Pfarrern Jung und Schwarz und der katholischen Pfarrgemeinde mit Pfarrer Matt angesprochen werden. Dies dahingehend, dass beide christlichen Gemeinden, d.h. Presbyterium und Pfarrgemeinderat, ihre Zustimmung zur Durchführung von Gedenkmaßnahmen zu Gunsten der ehemaligen jüdischen Gemeinde gegeben haben. Darüber hinaus haben sich die Herren Jung und Matt als Sprecher der 1. Bürgeraktion „Gedenktafel für deportierte Mutterstadter jüdischen Glaubens“ und der (Nachfolge-) Bürgeraktion „Gedenkmaßnahmen für nach Gurs deportierte Mutterstadter“ zur Verfügung gestellt. Die Tatsache, dass beispielsweise ehemalige oder noch amtierende Stadt- und Gemeinderäte aller Parteien der Bürgeraktion angehören, auch der Leiter des kommunistischen Antifa-Archivs in Ludwigshafen und alle Persönlichkeiten als Co-Autoren auftreten, soll zeigen, dass die Internet- und Buchpublikation „Die ehemalige Mutterstadter jüdische Gemeinde, die Gurs-Deportation 1940 und Auschwitz“, für die unsere Bürgeraktion steht, nur eines im Sinne hat: das Unrecht der nationalsozialistischen Zeit als solches zu nennen, sich mit den Opfern auszusöhnen und diesen auf Dauer wieder einen Namen, ein Gesicht, eine Geschichte zu geben. Dies über alle parteilichen und ideologischen Verschiedenheiten hinweg und als Bürger, welcher Art auch immer, mit Mutterstadt verbunden.

Die digitale Erfassung aller Texte, Dokumente, Fotos, Karten etc. für das Internet hat dabei einen großartigen Nebeneffekt: Per Knopfdruck können diese Informationen in eine Druckmaschine fließen und ausgedruckt werden. Das Begleitbuch zum Internetauftritt kann somit relativ kostengünstig erscheinen.

Für die Internet- und Buchversion in englischer Sprache haben sich Sponsoren in den USA gefunden.

Interesse an dem Schicksal der Mutterstadter in Gurs insbesondere das Schicksal der nach dort Deportierten aus dem Saarland, der Pfalz und aus Baden besteht. Denn in den USA leben die meisten Opfer und deren Nachkommen dieser schrecklichen Ereignisse 1940.

Herbert H.W. Metzger
Herausgeber,
Oktober 2002