9.3.12 Stellungnahme zu dem Amtsblatt-Bericht vom 10.01.2002
– Informationen über die Sitzung des Gemeinderates am 11.12.2001 -

Gedenktafel für die deportierten Mutterstadter Bürger jüdischen Glaubens

Anlässlich des 60. Jahrestages der Deportation jüdischer Bürger nach Gurs am 22. Oktober 1940 gab es auch in Mutterstadt verschiedene Veranstaltungen. Daraus entwickelten sich Vorschläge, Diskussionen und Initiativen, gegen das Vergessen dieses Teils der Geschichte ein Zeichen zu setzen und für die deportierten Bürger jüdischen Glaubens im Ehrenhof eine Gedenktafel anzubringen. Ursprünglich hatte der Historische Verein der Pfalz, Ortsgruppe Mutterstadt, im November 2000 einen entsprechenden Antrag gestellt, ihn aber dann einige Wochen später wieder zurückgezogen. Mit Schreiben vom 09. Februar 2001 hat sich eine Bürgeraktion „Gedenktafel für die deportierten Mutterstadter jüdischen Glaubens“ der Sache angenommen und angeregt, dass der Gemeinderat eine Entscheidung trifft, ob diese Gedenktafel realisiert werden kann. Sprecher dieser Bürgeraktion sind die beiden Pfarrer Hans-Peter Jung und Gerhard Matt sowie Herbert Metzger. Die Bürgeraktion hat in einem Gespräch zugesagt, mit Spenden in derzeit nicht zu beziffernder Höhe zur Finanzierung der Gedenktafel beizutragen.

Stellungnahme der Verwaltung:

Nach Recherchen im Gemeindearchiv wurden 1940 von Mutterstadt aus 52 Personen nach Gurs deportiert. Eine Gedenktafel im Ehrenhof des Neuen Friedhofes neben der Gedenktafel für die Synagoge, mit den 52 Namen und in Material und Dimension den vorhandenen Gedenktafeln angepasst, würde nach einer Preisanfrage bei einem Bildhauer ca. 15.000 DM kosten. Der Auftrag könnte im Laufe des Jahres 2002 ausgeführt werden und die Gedenktafel dann am 22. Oktober 2002 enthüllt werden. Der Kulturausschuss hat eine entsprechende Beschlussfassung empfohlen. Der Bürgermeister erläutert zusätzlich, dass mit dieser Gedenktafel an das einmalige Ereignis der massenhaften Zwangsdeportation am 22. Oktober 1940 erinnert und mit der Namensnennung exemplarisch an eines der traurigsten Kapitel der deutschen Geschichte gedacht werden soll.

Diskussion:

Fraktionsvorsitzender Hartmut Kegel (FWG) führt aus, dass die FWG mehrheitlich die Anregung für die Gedenktafel und die Namensnennung unterstützt und er persönlich hinter diesem Vorschlag steht.

Ratsmitglied Dr. Ulf-Rainer Samel (CDU) gibt, auch im Namen von Ratsmitglied Dr. Ulrich Hettenbach (FDP), eine persönliche Stellungnahme zu diesem Thema ab mit einem Antrag auf Erweiterung des Beschlussvorschlages. Er führt Folgendes aus:

„Mutterstadt gedenkt durch geeignete Mahnmale seiner in den beiden Weltkriegen Gefallenen und seiner in den beiden Kriegen Vermissten. Mutterstadt gedenkt bereits auch – durch eine Mahntafel in Erinnerung an die Reichskristallnacht vom 9. November 1938 – ausdrücklich der Verfolgung und Vertreibung, der Deportation und der Ermordung seiner jüdischen Mitbürger in der Zeit von 1933-1940. Es hat aber auch andere Opfer der gleichen Willkür zu jener Zeit in unserer Gemeinde gegeben. Es wäre daher eine Geste der Mahnung und der Würdigung, wenn in einem, weiteren Mahnmal aller zivilen Opfer der Gewalt- und Willkürherrschaft des nationalsozialistischen Regimes im Dritten Reich gedacht würde. Jetzt aber erneut die Gruppe der jüdischen Bürger herauszuheben und anderer, denen vergleichbares Unrecht geschehen ist, nicht gedenken zu wollen, halten wir für ungerechtfertigt und für unklug, aus zwei Gründen:

  1. Man wird nicht umhin können, Nahestehenden der anderen Opfer das gleiche Recht zu einer Gedenktafel einzuräumen. Das aber kann zu einer Mahnmalinflation führen, in der die eigentliche Mahnung entwürdigt wird. Mutterstadt wird sich damit keinen Gefallen tun!
  2. Wir verfolgen die Diskussion in der Mutterstadter Bevölkerung sehr wohl! Durch das erneute Herausstellen der jüdischen Opfer mit dem beabsichtigten Mahnmal und durch das Hintanstellen der anderen Mutterstadter Opfer, denen aber vergleichbares Leid angetan wurde, wird in der öffentlichen Meinung genau das geschürt, was der Bewältigung unserer Vergangenheit im Wege steht: Das Unverständnis darüber, dass Opfern der gleichen Willkür unterschiedlich gedacht wird.

Solche Ressentiments werden umso mehr provoziert werden als bei künftigen Anfragen anderer Gruppen nach Mahnmalen eventuell abschlägig entschieden werden müsste, aus welchen Gründen auch immer.

Selbstverständlich bleibt es jeder privaten Initiative vorbehalten, durch ein Mahnmal eines von ihr gewählten Personenkreises zu gedenken. Im vorliegenden Fall allerdings wird von den Initiatoren der Gemeinderat um einen offiziellen Beschluss der Realisierung gebeten. Auch befindet sich der vorgesehene Aufstellungsort unmittelbar neben den bereits vorhandenen, offiziellen Mahnmalen. Damit ist aber auch die Gemeinde beteiligt und damit wird die vorgesehene Gedenktafel auch eine Gedenktafel der Gemeinde. Da die Gemeinde jedoch allen Bürgern gegenüber in gleichem Maße verpflichtet sein sollte, stellen wir den Antrag, die anderen Opfer nicht auszugrenzen und den Beschlussvorschlag wie folgt zu erweitern:

In Erinnerung an die Bürger Mutterstadts, die durch Unrecht oder Gewalt Opfer der Willkürherrschaft des Nationalsozialismus wurden, wird im Ehrenhof auf dem Neuen Friedhof eine Gedenktafel angebracht.

Die Verwaltung wird beauftragt, einen Text für die Tafel zu entwerfen und bei dem Bildhauer Thiele einen Entwurf für die Gedenktafel mit Kostenvorschlag einzuholen“.

Ratsmitglied Harry Ledig (SPD) führt zu dieser Stellungnahme u. a. Folgendes aus:

„Die SPD-Fraktion hat ähnliche Überlegungen angestellt und ist zu dem Ergebnis gekommen, der Verwaltungsvorlage so zuzustimmen. Die Deportation Tausender von Menschen, sie in Elend und Tod zu schicken, nur weil sie einem anderen Glauben angehörten, ist so ein einmaliges Ereignis, dass man es nicht mit anderen Ereignissen – und seien sie noch so schrecklich – gleichsetzen sollte. Auch in unserer Gemeinde gab es Gruppen und Einzelpersonen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben. Aber das Problem dabei ist, wo fangen wir an, wo hören wir auf, wie fassen wir das in einer Gedenktafel.

Beispielhaft nenne ich für Mutterstadt

  • die Opfer der NS Medizin – Euthanasie und Zwangssterilisation –
  • die Opfer in den Kirchen und Sekten (Freireligiöse Kirche, Bekennende Kirche, Bibelforscher)
  • die aus politischen Gründen Verfolgten erlitten Repressalien, Schutzhaft, Gefängnis und KZ, in einigen Fällen haben sie das nicht überlebt
  • die Opfer von Kriegshandlungen in der Heimat
  • die Opfer der NS Justiz, wie die Bauernschaft mit dem Erbhofgesetz.

Die Bandbreite dabei reicht von

  • Diebstahl eines Klaviers aus dem Eigentum des verbotenen Arbeitergesangvereins
  • die Entlassung einer Putzfrau aus dem Gemeindedienst wegen „Beleidigung“ eines SA-Mannes, der vor einem boykottierten jüdischen Geschäft Wache stand
  • bis zur Denunziation eines Mutterstadter Bürgers durch einen Gemeindebediensteten und NS-Funktionär, wegen „Abhören von Feindsendern“ mit anschließender Verurteilung und Vollstreckung der Todesstrafe.

Die SPD-Fraktion würde selbstverständlich auch eine Gedenkmaßnahme für die anderen Opfer der Naziherrschaft befürworten, nur verbinden mit der Gedenkmaßnahme für die deportierten jüdischen Mitbürger möchten wir sie nicht“.

Fraktionsvorsitzende Hannelore Klamm (SPD) bedauert, dass in dieser so wichtigen geschichtlichen Würdigung der Deportation eine Debatte im Rat geführt werden muss.

Ratsmitglied Volker Strub (FWG) spricht sich dafür aus, auf die Namensnennung zu verzichten, da es evtl. weitere Deportationsopfer gibt.

Ratsmitglied Leonhard Sebastian (CDU) bedauert persönlich, dass diese Diskussion von CDU-Ratsmitgliedern geführt wird und spricht sich für den Beschlussvorschlag aus.

Nach Schluss der Beratung weist der Bürgermeister darauf hin, dass es den Antragstellern auf Grund der Diskussion unbenommen bleibt, neue Anträge oder Ideen hinsichtlich des Gedenkens an die Opfer des Dritten Reiches einzubringen und stellt den vorliegenden Beschlussvorschlag zur Abstimmung.

Beschluss (18 Ja-Stimmen, drei Nein-Stimmen, vier Enthaltungen):

In Erinnerung an die Deportation Mutterstadter jüdischen Glaubens nach Gurs am 22. Oktober 1940 wird im Ehrenhof auf dem Neuen Friedhof eine Gedenktafel mit den Namen der Deportierten angebracht. Die Gedenktafel wird in Material und Dimension den vorhandenen Gedenktafeln angepasst. Die Verwaltung wird beauftragt, bei dem Bildhauer Thiele einen Entwurf für die Gedenktafel mit Kostenvoranschlag einzuholen.