Der obige Kartenausschnitt, der zur besseren Orientierung die u.a. den US-Amerikanern bekannten Städte Ramstein und Heidelberg zeigt, ist Teil des so genannten "Gurs-Deportationsgebietes" bestehend aus dem Saarland, der Pfalz und aus Baden. Der Landkreis selbst weist 1938 sieben jüdische Gemeinden mit Synagogen und Friedhöfen auf: Böhl, Fußgönheim, Heuchelheim, Mutterstadt, Otterstadt, Roxheim und Schifferstadt. Lediglich in Fußgönheim ist die ehemalige Synagoge in hervorragender Weise zu einem öffentlichen Gebäude umgebaut, versehen mit einer Synagogen-Gedenktafel. Die Roxheimer Synagoge wird als Wohnhaus genutzt. Alle übrigen Synagogen sind verschwunden. In Bobenheim und Neuhofen gibt es je einen jüdischen Friedhof. [000]
1945 war die Stadt Ludwigshafen/Rhein fast vollkommen zerstört mit der Folge, dass das dortige Landratsamt nach Mutterstadt in die Oggersheimer Str. 4 verlegt werden musste. Siehe 2. Haus rechts. 1946 fand im großen Saal im Erdgeschoss der so genannte Mutterstadter "Synagogenbrand-Prozess" statt. Die 1938 aktiven Brandstifter, darunter zwei Mutterstadter Bürger, bekamen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen. Sie bereuten, ausweislich entsprechender Presseberichte, nichts! Landräte und Landratsamtsverwaltungen bemühten sich nach dem 2. Weltkrieg redlich, eine Gedenk- und Versöhnungskultur zu Gunsten des ehemaligen jüdischen Bevölkerungsteils umzusetzen. [000]
Liebe Mitbürgerinnen und liebe Mitbürger,
In den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat es Deutschland geschafft, sich von einem angesehenen Land zu einem Schandfleck auf der Weltkarte zu entwickeln. Unter der politischen Führung von Adolf Hitler und seinen Nationalsozialisten geschahen auf deutschem Boden damals verabscheuenswürdige Dinge, wie sie zuvor kaum jemand für möglich gehalten hatte. Mit dem Ziel, das nationalsozialistische Menschenbild auch jenseits der deutschen Grenzen zu verankern, wurden andere Staaten zudem in einen Krieg gezwungen, dessen Schreckensbilanz in der Geschichte ebenfalls einzigartig war.
Zu den schlimmsten Verbrechen dieser Zeit gehörte es, Mitmenschen lediglich deshalb zu verspotten, zu benachteiligen, zu boykottieren, auszuplündern, in Konzentrationslager einzusperren und letztlich zu ermorden, weil sie eine andere Meinung oder einen anderen Glauben hatten als die Herrschenden, weil sie nicht so aussahen oder nicht so leistungsfähig waren wie sich "Führer & Co "richtige" Deutsche vorstellten, und oftmals sogar nur, weil ein Teil ihrer Vorfahren zu einer missliebigen Gruppe gehörte. Leider gab es bei Weitem nicht genügend Mutige, die Ungerechtigkeiten und Unrecht anprangerten oder gar bekämpften. Viel zu viele versuchten, durch angepasstes Verhalten eigene Nachteile zu vermeiden.
Der damalige Landkreis Ludwigshafen und die anderen Gemeinden, die heute zum Kreisgebiet zählen, waren in dieser Hinsicht alles andere als "Inseln der Seligen". Auch hier fasste das nationalsozialistische Gedankengut rasch Fuß, auch hier wurden Juden und andere Menschen verfolgt, ohne dass sie etwas Böses getan hätten. Trauriger Höhepunkt war die Deportation des jüdischen Bevölkerungsteils nach Gurs im Oktober 1940, die vielen den Tod brachte und bei den wenigen Überlebenden bleibende Schäden – körperlicher wie seelischer Natur – hinterließ. Von den 827 Frauen, Männern und Kindern aus der Pfalz, die auf Deportationslisten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) registriert wurden, wohnten mindestens 97 zuvor im Gebiet des heutigen Landkreises Ludwigshafen. Ganze 21 von ihnen überlebten die Verschleppung nach Südfrankreich, von wo aus viele später ins Vernichtungslager Auschwitz kamen. Mich fröstelt beim Gedanken daran, dass auch damalige Beschäftigte des Landkreises mit organisatorischen Aufgaben betraut waren und dadurch das Schicksal der Betroffenen mit beeinflusst haben könnten.
Innerhalb des Kreisgebietes bildete Mutterstadt den Schwerpunkt für die schändlichen Aktivitäten, mit denen Gauleiter Josef Bürckel eine "judenfreie" Pfalz anstrebte. Allein von dort wurden 50 Einwohnerinnen und Einwohner abtransportiert. Insofern begrüße ich es sehr, dass sich in dieser Gemeinde eine Bürgeraktion gebildet hat, die sich nachhaltig darum bemüht, die Erinnerung an die deportierten Mutterstadterinnen und Mutterstadter jüdischer Herkunft wach zu halten. Je länger die Nazi-Gräuel zurückliegen, umso wichtiger ist es in meinen Augen, aufzuzeigen, dass davon nicht nur irgendjemand in der Ferne betroffen war, sondern dass es in unmittelbarer Nachbarschaft Täter und Opfer gab. Die vorliegende Publikation dürfte eine gute Grundlage dafür sein, auch Schülerinnen und Schülern Interesse an dieser Thematik zu vermitteln, weil sie aufzeigt, was sich vor wenigen Jahrzehnten vor der Haustür, wenn nicht sogar vor den Augen, der Großeltern oder Urgroßeltern abgespielt hat.
Der Landkreis Ludwigshafen bekennt sich seinerseits zu seiner Verpflichtung, wenn es darum geht, die unrühmlichen Seiten der Vergangenheit zu beleuchten, um jeglicher Wiederholung entgegenzuwirken. Deshalb hat er in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts unter anderem eine wissenschaftliche Arbeit über die nationalsozialistische Herrschaftspraxis und das Alltagsleben im heutigen Landkreis Ludwigshafen zwischen 1933 und 1945 mitfinanziert, die später in der Reihe "Mannheimer Historische Forschungen" als Buch erschienen ist. Die Veröffentlichung über die ehemalige Mutterstadter jüdische Gemeinde, die Gurs-Deportation von 1940 und Auschwitz stellt dazu eine sinnvolle Ergänzung dar, weil sie die Erkenntnisse noch stärker auf die örtliche Ebene herunterbricht, die Ereignisse also noch greifbarer macht. Ich danke allen, die an ihrer Erstellung mitgewirkt haben. Dieses Engagement von privater und kirchlicher Seite ist vorbildlich. Ich hoffe innigst, dass es einen Beitrag dazu leistet, Friede, Freiheit und Mitmenschlichkeit für alle Zeit als oberste Ziele zu bewahren. Denn nur wer um die Gefahren weiß, spielt nicht so leicht mit dem Feuer!
Werner Schröter, Landrat
Autor: Werner Schröter, Jahrgang 1944, ist seit 2001 Landrat des Landkreises Ludwigshafen/Rhein. Er begreift u.a. die durch seine Vorgänger im Landkreis praktizierte Gedenk- und Versöhnungskultur jüdischen Menschen gegenüber als eine unabdingbare Notwendigkeit. Dies nicht zuletzt deshalb, um hier lebenden Ausländern, ebenfalls Minderheiten wie damals Bürger jüdischer Herkunft, zu signalisieren, dass sie in Deutschland willkommen sind.
Fotos und Sonstiges, sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie, sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.