Eines der sieben Synagogenfenster mit je vier ständig wechselnden Bildern, aus sieben verschiedenen Motiven.
Rekonstruktion durch Micheal Kunz nach Skizzen von Werner Dellheim, Ocalla, Florida.,USA, 2003 Mutterstadter Syngagogenfenster von 1904 "Abraham opfert Isaak": Die Glasmalarbeit des namentlich nicht bekannten Künstlers von 1904 zeigt nach dem Alten Testament die im letzten Moment durch Gott verhinderte Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham auf dem Berge Morija, ungefähr am Standort der heutigen Klagemauer, Rest einer Stützmauer des herodianischen Tempels in Jerusalem. Sinn der Geschichte ist es, auszudrücken, Gott absolut, ohne Rückversicherung zu vertrauen. Dies lediglich wegen eines Versprechens Gottes an Abraham in Ur, ihm Kanaan, das "Gelobte Land", als Siedlungsgebiet für sich und seine Nachkommen zu verheißen. Gott testet Abraham auf seine Treue zu ihm, Abraham gehorcht unwidersprochen. Das obige Bild ist eine Replik der Glasmalerei auf einem Fenster der Mutterstadter Synagoge.
Abraham, gemeinsamer Vater von Juden, Christen und Muslimen. Die Autoren des Alten Testaments, die immer viele Jahrhunderte rückblickend schrieben, verfolgten den Zweck, ihrem Volk eine eigene Geschichte und Identität zu geben. Abrahams Stammbaum ist für dieses Denkmuster ein Beispiel. Durch den mit Sara gezeugten Sohn Isaak ist er der Stammvater der Hebräer und Juden, im theologischen Sinne auch der Christen. Sein mit Hagar gezeugter Nachkomme Ismael sowie die Söhne von Ehefrau Ketura, die er nach dem Tode von Sara heiratete, sind die Stammväter aller Araber.
Die Wanderung des Abrahams. Abraham und mehrere seiner nomadisierenden Familienclans ziehen im 2. Drittel des 2. Jahrtausend vor Chr. von der Heimatregion Ur, im kulturell hochstehenden chaldäischen Reich, dem heutigen Südirak gelegen, zunächst ca. 1400 km in das nordwestlich gelegene Harran. Von dort aus geht es nach Südosten in das dünn besiedelte kanaanäische, bergige Hinterland. Während einer Hungersnot flüchtet Abraham nach Ägypten, dann wieder nach Kanaan zurück. Die ca. 3500 km lange durchwanderte Region wird auch als "Fruchtbarer Halbmond" genannt, weil Wasser und Weide vorhanden sind.
Als Abraham und seine Nomadenclans ihre Wanderung von Ur im heutigen Südirak aufnahmen, kehrten sie dem kulturell hochstehenden Chaldäischen Königreich den Rücken. Dessen handwerklich-technischen Fähigkeiten drückten sich u.a. durch großdimensionierte Sakralbauten, beispielsweise dem Ziggurat von Ur, aus. Als Abraham am Ende seiner Wanderung in Nord-Ost-Ägypten ankommt, dort die bereits seit über 1000 Jahren bestehenden Pyramiden im ägyptischen Nildelta sieht, hatte er, bezogen auf die chaldäische Zweistromlandkultur, nach einer Wanderung von ca. 3500 km ostwärts einen gleichwertigen Kulturraum am Nildelta erreicht.
Die Gräber von Abraham und Sara. In Genesis 23, 1-20, wird beschrieben, wie Abraham für seine Frau Sara in Mamre bei Hebron die Höhle "Machpela" als Grabstätte kauft. Dort, in Mamre, hatte er auch, wie bei Nomaden üblich, einen wetterbeständigen, steinernen Opferaltar errichtet (Gen. 13,18), wo ihm Gott erschien. Obige Sarkophage sind so genannte Kenotaphe = Leere Gräber, die u.a. an Abraham und Sara erinnern sollen. Am Ort selbst, in den darunterliegenden Höhlen wurden Gräber aus der mittleren Bronzezeit, also der Zeit Abrahams gefunden.
1. Gründe der Motivwahl auf dem Mutterstadter Synagogenfenster 4. Fenster, Nordseite: "Abraham opfert Isaak"
Für jüdische Menschen ist theologisch gesehen Abraham der Stammvater der Hebräer, später Israeliten, beziehungsweise Juden genannt. Dass auf dem Glasfenster die Opferungsszene des Isaak mit seinem Vater Abraham auf dem Berge Morija, dem späteren Standort des salomonischen und herodianischen Tempels, gezeigt wird, soll den bedingungslosen Gehorsam, also die Loyalität, symbolisieren, den der Gott von Abraham und Isaak genauso erwartete wie vom jüdischen Betrachter unserer Zeit (Gen. 22,6 ).
Ein weiterer Grund, dieses Bildmotiv zu wählen: Nach hebräischem Glauben hatte deren Gott, EL genannt, einen religiösen Bund mit Abraham geschlossen (Gen.15 und 17) der diesem eine Verheißung versprach: Abraham und seine Clans sollten die angestammte Heimat, das Vaterhaus und die Verwandtschaft verlassen und nach dem "Gelobten Land Kanaan" ziehen, also nach dem heutigen Israel/Palästina, in "das Land, das Gott seinen (Abrahams Red.) Nachkommen geben wollte".
Bei all diesen Geschehnissen muss man aber Abraham sehen als den Wanderer und Familienpatriarchen, den Mann mit großer charakterlicher Differenziertheit, gebeutelt von Heimatverlust, Sehnsucht nach Heimat und als Vorbild an Gastfreundschaft. Er ist also eine Person, mit der sich auch ein Mutterstadter Jude 1904 identifizieren konnte.
2. Zur Person Abrahams und die 200 Jahre der Patriarchen um 1850-1650v.Chr
Abraham, Sohn des Tharah, lebte um 1850 v.Chr., also der mittleren Bronzezeit, nomadisierend u.a. auch in Kanaan, dem späteren Israel/Palästina. Dies zusammen mit seinem Sohn Isaak und dessen Zwillingssöhnen Jakob und Esau, also Abrahams "Zwillings-Enkel".
Man weiß dies aus dem 1. Buch Moses, Genesis genannt. Dieses Buch lässt obige zeitliche Zuordnung zu. Ein Buch übrigens, dessen Fakten auf historischen Grundlagen beruhen, aber für religiöse Zwecke wahrscheinlich 14 Jahrhunderte später niedergeschrieben wurde. Wenn man so will: Es ist eine Sammlung von Geschichtserzählungen verschiedenen Ursprungs.
Abraham war mit drei Frauen verheiratet: mit Sara, einer Halbschwester, sowie mit der später verstoßenen Hagar, (Genesis 16, 2-6) einer Ägypterin, und Ketura (Genesis 25, 1-6). Wenn durch Saras Sohn Isaak Abraham der Stammvater der heutigen Juden und theologisch gesprochen auch der Christen ist, so ist er durch Hagars Sohn Ismael und den Nachkommen der Ehefrau Ketura auch der Stammvater der Araber. Beide, Hebräer/Israeliten, später Juden genannt, sind genau wie die Araber gleichen semitischen Ursprungs.
Dabei gilt es aus Sicht des 21. Jh. zu beachten, dass dies für jüdische Menschen nur noch bedingt zutrifft, da es bei Juden nur entscheidend ist, von einer jüdischen Mutter geboren zu sein und auch aus der Tatsache heraus, dass viele nichtsemitische Menschen im Laufe von 3800 Jahren zum Judentum übergetreten sind. Lassen wir uns die im Buch Genesis beschriebenen wichtigsten familienbezogenen Katastrophen und deren Meisterung durch Abraham vor Augen halten. Sie geben uns einen Einblick in die Charakterstruktur des Patriarchen.
Zunächst die denkbar schwerste Anfechtung eines Vaters , eines damals schon etwas älteren Menschen: Er soll nach Gottes Willen seinen einzigen, mit seiner Hauptfrau Sara gezeugten Sohn Isaak opfern, was auch gleichzeitig heißt, den Sohn zu opfern, an dem die von Gott versprochene Verheißung, das "Gelobte Land Kanaan" zu erreichen, hängt.
Was macht der Patriarch? Er gehorcht ohne Murren. (Genesis 12, 1-4).
Dass Gott die Auslöschung des Lebens von Isaak verhindert, ist relativ unbedeutend. Wichtig ist, dass Abraham gehorcht bezüglich dem, was sein Gott fordert. Eine weitere schwere Anfechtung als Ehemann : Gerade im "Gelobten Land Kanaan" angekommen -Abraham hatte in Siechem und Bet-El Altäre errichtet- flüchtet er von dort wegen einer Hungersnot nach Ägypten. Die Ehefrau Sara, offensichtlich für den auf Nachschub für seinen Harem bedachten Pharao attraktiv, bringt ihren Ehemann Abraham durch des Pharaos Begehren in Lebensgefahr. Eine Frau, durch Beseitigung des Ehemanns zur Witwe und dadurch wieder heiratsfähig zu machen, war in diesen Zeiten ein probates Mittel (Genesis 12, 10-20).
Was macht der Patriarch? Er gibt Sara, um sein Leben zu retten, als seine Schwester aus, dies mit der Folge, dass diese in Pharaos Harem landet.
Dass durch von Gott geschickte Plagen der Pharao sich veranlasst sieht, Sara und Abraham wieder nach Kanaan ziehen zu lassen, ist relativ unbedeutend. Wichtig ist festzuhalten, dass Abraham menschliche Schwächen zeigt, was ihn für jedermann sympathisch macht, weil sich jeder in Abraham wiederfindet.
Ein weiterer Charakterzug als Familienoberhaupt : Sara, fälschlicherweise die Hoffnung aufgebend Kinder zu bekommen, sorgt höchstpersönlich dafür, dass ihr Ehemann mit ihrer Magd Hagar, den Sohn Ismael zeugt (Genesis 21). Nachkommenschaft zu haben war in diesen Zeiten das existenziell oberste Gebot!
14 Jahre später – Sara war inzwischen überraschend Mutter des Isaak geworden – sieht Sara in Hagar die Rivalin und jagt sie mit ihrem Sohn Ismael "in die Wüste" (Genesis 17). Was macht das Familienoberhaupt?: Er stimmt seiner Sara zu, er entzieht sich schlicht und einfach der Verantwortung für Hagar. Dass menschliche Schwächen -Abrahams Familiengeschichte ist das Beispiel- Gott an seinen Geschöpfen nicht irre machen lässt, ist für die Menschen ein großer Trost!
Abraham ist in seinem Familiengrab, der Höhle Machpela, in Mamre bei Hebron, begraben.
Sein Enkel Jakob, der sich in Israel umbenennt, wird große Wichtigkeit erlangen, weil er mit vier Frauen, zwei Cousinen und deren Mägden, zwölf Söhne zeugt, die Stammväter der künftigen zwölf Stämme Israels, darunter dem Stamm Juda. Dieser wird zu einem späteren Zeitpunkt, 928 vor Christus, unter König Rehabeam ein um Jerusalem herum gelegenes Königreich "Juda" errichten, aus dem sich der Name Jude herleitet.
3. Eine geschichtliche Szenenbeschreibung auf der Suche nach dem "Gelobten Land Kanaan"
Die oftmals nur 10-20 km breiten Flussoasen des ägyptischen Nils und die vergleichbaren Oasen entlang des Euphrat und Tigris im heutigen Irak, heute wie vor ungefähr 3850 Jahren auch, brachten bereits zu Zeiten Abrahams kraftvolle Staaten hervor: Ägypten mit seinen Königen, die sich Pharao nannten, und das Chaldäische Reich am Euphrat und Tigris, auch wegen der Flüsse Euphrat und Tigris als Mesopotamien d.h. Zweistromland bezeichnet.
Diese beiden Flussoasen bzw. deren Kulturen waren durch einen topografisch gesehen halbmondförmigen landwirtschaftlich fruchtbaren Kulturraum miteinander verbunden. Der Vater von Abraham, Tharah, wanderte mit mehreren hebräischen Familienclans zunächst von Ur im Chaläerreich, im südwestlichen Teil des heutigen Iraks gelegen, in Richtung der Gegend von Harran ca. 1400 km nordwestlich vom Ausgangsort Ur entfernt. Abraham setzte dann mit seinen hebräischen Nomaden die Wanderung fort. Er zog zunächst nach Kanaan, dem Land in dem "Milch und Honig fließt", dem späteren Palästina / Israel, um später wegen einer Hungersnot bis in das 1700 km südwestlich von Harran gelegene Nordost-Ägypten in die Landschaft Gosen an die Nilmündung zu kommen (1. Mose 11,31).
Diese halbmondförmige Route vom Zweistromland bis nach Nordost-Ägypten war notwendig, um für Menschen, Schafe, Ziegen und Tragetiere entsprechende Nahrung und Wasser zu finden. Somit ist Kanaan, das spätere Palästina/Israel, zusammen mit dem heutigen Syrien als Landbrücke zwischen den beiden Hochkulturen zu bezeichnen, ein strategischer Platz, damals besiedelt von den Kanaanäern. Vielleicht hat Abraham als nomadisierender Viehzüchter und im Zusammenhang mit seinem Zug von Harran nach Ägypten und zurück nach Kanaan / Palästina auch darauf spekuliert, dass er im militärisch schwächeren Kanaan, dem heutigen Israel / Palästina, leichter das zu einem freieren Leben notwendige Weideland finden könne, oder mit anderen Worten, sein eigener Herr sein könne als in den gut durchorganisierten Staaten der Pharaonen und der chaldäischen Könige.
Wir müssen uns weiterhin vorstellen, dass diese aus Ur kommenden hebräischen Halbnomaden sich mehr oder weniger friedlich in einem komplexen langwierigen Prozess unter die kanaanitische, in Städten wohnende, Urbevölkerung mischten. Sie hielten sich im Regelfall im bergigen Hinterland von Kanaan auf, mit Abstand zur Mittelmeerküste, dort also, wo es mangels Menschen keine großen Reibungspunkte gab. In allen den genannten Reichen und Regionen, insbesondere in Kanaan, herrschte eine Vielgötter-Religion, der Polytheismus.
Die bäuerlich-sesshafte Bevölkerung in Kanaan, also in der Region unseres Abrahams, betete Fruchtbarkeitsgötter an, huldigte der Tempelprostitution und führte Menschen- und Kinderopferungen durch. Eine der Anbetungsformen dieser "Religion der Götzendienste" fand auf Höhenheiligtümern und an dort installierten Altären mit ihren Götzenfiguren statt. Auch Abraham und seine Stammesgenossen praktizierten diese Form der Gottesanbetung, wie diese auch der Künstler der Glasmalerei auf dem Mutterstadter Synagogenfenster, mit Isaak als Opfer, darstellt.
Es gab jedoch zwischen den Hebräern und den Nichthebräern einen entscheidenden Unterschied: Die Vielgötter-Götzenreligion wurde ersetzt durch die Anbetung eines Gottes, dieser mit dem Namen El oder Eloim. Und: Dieser Gott war nicht sichtbar.
Man könnte diesen Unterschied aber auch noch anders interpretieren: Die Hebräer empfanden dieses Merkmal ihres Gottesglaubens -zu Recht- als einzigartig in der damaligen Welt. Sie empfanden die Tatsache nur an einen, unsichtbaren Gott glauben zu dürfen, als ein solch großartiges Geschenk ihres Gottes El, dass die Hebräer sich anderen Völkern gegenüber und mit ihrer Form der Gottesanbetung als privilegiert vorkamen. Sie fühlten sich überlegen. Ein Grund, weshalb sie, gegen alle Versuchungen des Polytheismus, an diesem einen, unsichtbaren Gott auf Dauer festhielten.
Jedenfalls kann man unterstellen, dass die Nachkommen Abrahams als Halbnomaden sowie einzelne hebräische Familien oder Gruppen etwa 200 Jahre lang dauerhaft zwischen den Bergen des Libanongebirges im Norden und den Ufern des Nils ihre Herden weideten und mit den sie umgebenden Völkern friedlich kommunizierten und zusammenlebten, ein paar kleinere Kriege und Streitigkeiten im Laufe der Jahrhunderte ausgenommen. Erst mit der Ansiedlung des Patriarchen Jakobs, Enkel des Abrahams und seiner zwölf Söhne samt ihren Familien um 1650 vor Chr. in Ägypten wird eine weitere Seite im Geschichtsbuch der Hebräer aufgeschlagen.
Autor: Herbert H.W. Metzger, Jahrgang 1940, unternehmerisch tätig, amtierte von 1980-1990 als Gründungsvorstand des Historischen Vereins der Pfalz e. V., Ortsgruppe Mutterstadt. Im Rahmen von zwei Bürgeraktionen und dieser Publikation "Die ehemalige jüdische Gemeinde und ihre Nachkommen" engagiert er sich, das Unrecht, begangen an der ehemaligen jüdischen Gemeinde von Mutterstadt und der Pfalz, aufzuarbeiten und vor allem die Jugend über das Schicksal des Pfälzer und Mutterstadter jüdischen Bevölkerungsteils zu informieren.
Quelle: Verlag Kath. Bibelwerk, Stgt. "Welt und Umwelt der Bibel", 4/2004 u. Lübbe Verlag GmbH: "Die Bibel und ihre Welt", Seite 1097-1112.