2.5.2 16.-13. Jh. vor Chr.: Synagogenbildmotiv „Josefs Verkauf nach Ägypten“. Der über 400 Jahre dauernde Aufenthalt in Ägypten . Das erste Konsonantenalphabet und die Schrift der Westsemiten.

Eines der sieben Synagogenfenster mit je vier ständig wechselnden Bildern, aus sieben verschiedenen Motiven.

Rekonstruktion durch Micheal Kunz nach Skizzen von Werner Dellheim, Ocalla, Florida.,USA, 2003 Josefs Vater Jakob, unserem biblischen Patriarchen, einen Todesfall vortäuschend, haben die neiderfüllten elf Halbbrüder des Josefs ihres Vaters Lieblingssohn, ein mit der Fähigkeit der Traumdeutung ausgestatteter junger Mann, nach Ägypten in den Haushalt des hohen Regierungsbeamten Potiphar verkauft. Die Geschichte von Lug und Trug, aber auch der weitere äußerst erfolgreiche Lebensweg des Josef ist ein Gleichnis: Aus Jakobs zwölf Söhnen erwachsen die zwölf Stämme Israels, woraus sich letzten Endes die Staatlichkeit Israels unter den Königen Saul, David und Salomon entwickelte. Die Josef-Jakob-Geschichte ist Teil des Nationalepos der Juden.

Die von den Pharaonen der 4. Dynastie, den Göttern auf Erden, erbauten Pyramiden, Mykerinos, Chephren und Cheops 2723-2563 vor Chr. (von links nach rechts). Patriarch Jakob mit seinen zwölf Söhnen und mit Hilfe des 11. Sohnes Josef nach Ägypten gekommen und ihre Nachkommen, hatte in Nordost-Ägypten, östlich der Nilmündung, ihr Vieh geweidet. Zwar kann man davon ausgehen, dass diese Nomaden den Nil nicht westwärts überschritten haben. Einzelne Hebräer aber sehr wohl! Wie muss auf einen technisch unbedarften, hebräischen Nomaden die bis zu 146 m hohe Monumentalarchitektur der 1000 Jahre zuvor als Begräbnisstätte der Pharaonen errichteten Pyramiden, u.a. die Cheops-Pyramiden, eines der sieben Weltwunder der Antike, gewirkt haben?

Die älteste, 2630 vor Chr. erbaute 6-stufige Pyramide des Pharao Djoser in Sakkara, südlich von Kairo im Nildelta. Der in Stein erbaute Herrschaftsanspruch der Pharaonen -es gibt 90 Pyramiden- sollte den Menschen, und den unter den Ägyptern lebenden Hebräern, einschließlich dem Clan des Josef, klar signalisieren: Lehnt ihr, das Volk, euch niemals gegen uns, die Pharaonen, die Götter auf Erden auf. Und den äußeren Feinden gegenüber sollte zum Ausdruck gebracht werden: Legt ihr, die gewaltbereiten Eindringlinge, euch nicht mit uns an. Herrscher, die solche Bauten errichten können, sind unbezwingbar!

Eine enorme Kulturleistung: Die von Westsemiten im 15. Jh. vor Chr. benutzte "Sinai-Schrift" ist Vorläuferin der frühhebräischen Schrift um 600 vor Chr. Der obige Schriftvergleich zeigt eine Verwandtschaft zu der Hieroglyphenschrift der Ägypter. Westsemiten, die Hebräerstämme einschließend, waren Teil eines Kulturraumes, der vom Zweistromland der Sumerer bis zum Pharaonenreich der Ägypter -zusammenhängend- reicht. 1822 gelang dem 31-jährigen Franzosen Francois Champollion die Hieroglyphenschrift mit Hilfe des Steins von Rosette, auf dem zwei weitere bekannte Schriften entsprechende Vergleiche zuließen, zu entziffern. Er schlug damit ein Tor des Wissens auf, das die wissenschaftliche Erforschung u.a. auch der Umstände, die mit unserer Josefsgeschichte verbunden sind, erst möglich machte.

1. Gründe der Motivwahl auf dem Mutterstadter Synagogenfenster 3. Fenster, rechts, Südseite: "Josefs Verkauf nach Ägypten"

Für jüdische Menschen ist emotional gesehen die Geschichte des Josef eine zwischenmenschliche, aber auch materiell-berufliche Erfolgsstory ohne Gleichen! Eine Geschichte des Verzeihens, der Großzügigkeit, der Großmut im Hinblick auf die Tatsache, dass er von seinen Halbbrüdern nach Ägypten verkauft worden war.

Ihrem gemeinsamen Vater Jakob wurde darüber hinaus von seinen elf Söhnen vorgeschwindelt, nichts von Josefs Verbleib zu wissen, ihn -den Vater- also jahrelang in Trauer und Unwissenheit belassend.

Eine Geschichte, die in ihren Anfängen durch Lug und Trug geprägt ist, also ganz genau das alltägliche Leben widerspiegelt, was sich in dieser Form auch jüdischen Menschen in Mutterstadt erschließt.

Mit Josef und seiner Geschichte, und damit ist Vater Jakob eingeschlossen, wird aber auch das so genannte, etwa 200 Jahre dauernde Zeitalter der Patriarchen, gemeint sind die addierten Lebenszeiten Abrahams, Isaaks und Jakobs, zum Abschluss gebracht (Gen. 47,27 – 50 u. 26). Ein Zeitalter, in dem das "Israelitische Nationalepos" wurzelt, ein Nationalepos, das mit der Befreiung der Hebräer aus der ägyptischen Gefangenschaft unter der Führung Mose um 1250 vor Chr. ihren Abschluss findet. Ein Nationalepos, das u.a. die Geschichte der zwölf Stämme Israels aufzeigt als die Nachkommen des Erzvaters Jakob, der sich später Israel nennt, und seinen zwölf Söhnen. Diese wandern, bis auf Josef, der schon in Ägypten ist, um 1700 vor Chr. in Ägypten ein. Eine Geschichte also, zu der sich ein jeder gläubige Jude mehr oder weniger bekennt.

Vielleicht hatte es aber unter den Bauherren der Mutterstadter Synagoge von 1905 noch eine ergänzende, wissenschaftlichere Überlegung gegeben, die Josef-Motive auf die Synagogenfenster zeichnen zu lassen. Die Josefsgeschichte, die letztlich auch die Geschichte des Zwölfstämmebundes beinhaltet, ist ein Synonym, eine Art Erkennungsmerkmal, für die zu einer Nation sich hin entwickelnden Stämme der Hebräer. Die Zeit des Josef tangiert darüber hinaus auch die Zeit der Entwicklung der hebräischen Schrift, eine Schrift, die in ihrer Frühform um 1500 vor Christus entsteht, die parallel zu oder beeinflusst von der Hieroglyphenschrift der Ägypter und der Keilschrift der Summerer entwickelt wird.

In so frühen Zeiten eine eigene Schrift entwickelt zu haben, die dazu in Form von Weiterentwicklungen noch heute gesprochen wird, muss jeden Juden mit Stolz erfüllen. Dass die Bauherrn und Auftraggeber des Jahres 1904 somit auf dieses, eine große Zeit symbolisierende Motiv nicht verzichten wollten, liegt auf der Hand. Ja, noch mehr: Die Josefsgeschichte, die Entwicklung der zwölf Stämme Israels, die Wurzeln des jüdischen Volkes darzustellen, ist ihnen sogar noch ein 2. Synagogenfenster-Bildmotiv wert.

2. Zur Person Josef und seiner Familie während seine Zeit in Kanaan

Josef war Jakobs 11. Sohn und das 1. Kind seiner Frau Rahel (Gen.37,20). Er lebte um 1750 vor Chr., zunächst mit seiner Großfamilie in Kanaan, dem heutigen Palästina / Israel, als viehzüchtender Halbnomade.

Von seinen Brüdern in einem Brunnenschacht eingesperrt, von dort durch Dritte gerettet und verkauft oder von den Brüdern direkt verkauft, man weiß es nicht genau, jedenfalls landet der junge Mann im Haushalt des hochrangigen Hofbeamten des ägyptischen Pharaos mit Namen Potiphar und dessen Frau, die -im Negativen- noch eine wichtige Rolle im Leben Josefs spielen wird.

In seiner Kindheit und frühen Jugendzeit ist Josef seiner Familie, insbesondere seinen elf Halbbrüdern, durch Traumdeuterei aufgefallen, die ihn -Josef- stets im Mittelpunkt stehend und sich selbstverherrlichend sehen. Der dadurch aufkommende Neid, ja Hass seiner Brüder führt zu deren Entschluss, Josef loszuwerden, was ihnen durch den Verkauf des Bruders gelingt.

Zum Thema Traumdeutung und die magische Zahl sieben: Jeder kennt die Geschichte vom Traum des Pharaos von den sieben fetten und den sieben mageren Kühen, den der Pharao unserem Josef zur Deutung vorlegt. Dieser vergleicht das Traumgeschehen mit den sieben fetten und den sieben mageren Jahren, die Ägypten und somit der Grundeigentümer des Landes im wörtlichen Sinne, der Pharao, zu erwarten hat. Einmal mehr im Alten Testament wird die Zahl sieben als Zyklus verwendet. In dieser Hinsicht ist die 7-Tage-Woche das beste Beispiel.

3. Eine geschichtliche Szenenbeschreibung des 16. und 15. Jh. vor Chr.

Zunächst: Josef, Sohn des Patriarchen Jakobs, Enkel des Isaaks und Urenkel des Abrahams ist um 1700 vor Chr. in Ägypten aktiv. Die Patriarchen Abraham und Isaak sind tot. Jakob, Vater des Josef, der sich auch Israel nennt, lebt noch die nächsten Jahrzehnte in Kanaan, als die Josefsgeschichte um 1700 vor Chr. beginnt. Zu diesem Zeitpunkt hatte das fremde aus Kleinasien stammende Volk der Hyksos um ca. 1730 vor Chr., also 30 Jahre zuvor, Ägypten militärisch besiegt, Nord-Ägypten annektiert und mit einem Lehens- und Feudalherrschaftssystem überzogen, sowie eine neue Pharaonendynastie gegründet (um 1730-1580 vor Chr.). Zwecks einer effektiven, ca. 150 Jahre dauernden Beherrschung des Landes errichteten die Hyksos ummauerte Plätze.

Warum man Josefs Aufenthalt und seine Funktion als Minister eines fremdländischen Hyksos-Pharaonen sowie den Beginn des Aufenthaltes der Hebräer in Ägypten Ende des 17. Jh. vor Chr. verlegen kann, hat drei völlig voneinander unabhängige, geschichtliche Quellen:

  • Gen. 15,13 und Ex. 12,40 – 41 sagt, dass die Israeliten 400-430 Jahre lang in Ägypten gelebt haben. Dabei hat Josef zusammen mit seinem Vater Jakob und seinen Brüdern sowie den sich zahlenmäßig stets vergrößernden Familienclans die Anfangsjahre in Ägypten verbracht. Dies u.a. als Minister des Pharaos. Wenn also Moses um 1250 vor Chr. gewirkt hat und man ca. 400 Jahre zurückrechnet, "landet" man in Bezug auf den Josef-Aufenthalt in zeitlicher Hinsicht in Ägypten um 1700 vor Chr. .
  • Eine weitere Beweisführung, die Josefsgeschichte in ein Datum zu setzen: Ein im 1. Jh. nach Chr. lebender ehemaliger Militärbefehlshaber und Festungskommandant der jüdischen Aufstandsbewegung gegen die Römer, Josephus ben Mattathijahu, später als römischer Bürger Josephus Flavius zu Ehren gekommener ernsthafter Historiker und Schriftsteller, Herausgeber des Geschichtsdramas "Der Jüdische Krieg", sagt aus, dass sich Josef mit seinen Hebräern in der Zeit der Hyksos in Ägypten aufgehalten habe. Josephus war immerhin zu seinen Lebzeiten 2000 Jahre "näher an der Geschichte dran" als unsere heutigen Historiker und Forscher.
  • Ein weiterer schlagender Beweis sind vorhandene Adelsregister der Hyksos. Dort erscheinen hebräische Namen: Jakub–Her ist ein solcher. Ein Aspekt dieser Hyksos-Herrschaft war, dass diese von der hebräisch-kanaanitischen-syrischen Mittelmeerregion kommenden semitischen Asiaten auch mit semitisch-hebräischen Halbnomaden in dieser Region Kontakt hatten und diese im Laufe der Zeiten in ihre Führungsschicht aufnahmen. Besagte hebräische Adelsnamen in Adelslisten sind der Beweis.

Damit wären die Hebräer während der 15. und 16. Dynastie der ägyptischen Pharaonenherrschaft, also 1700-1580 vor Christus, in das Land Ägypten gekommen.

Während ägyptische Könige in Süd- bzw. Oberägypten in der Hauptstadt Theben herrschten, übten die aus Vorderasien zunächst einsickernden, dann sich auch militärisch formierenden Hyksos in Mittel- und Unterägypten, also im Norden u. a. in ihren Königsstädten Chian und Apophis, in der östlich des Nildeltas gelegenen Landschaft Gosen, nahe der Nilmündung, mit der Hauptstadt Avaris, dem biblischen Zoan, die Herrschaft als Pharaonen aus.

Um den weiteren Verlauf der Geschichte auf den Punkt zu bringen und im Einklang mit den Aussagen des Josephus ben Mattathijahu zu bleiben: Um 1580 vor Chr. besiegt der Thebener, der südägyptische Herrscher Pharao Ahmosis (1562-1537 vor Chr.) die Hyksos. Er schüttelt die Fremdherrschaft somit ab. Die Hyksos werden nach Kanaan, dem heutigen Palästina / Israel zurückgedrängt, oder als Verbleibende durch das ägyptische Volk absorbiert. Mit Ahmosis beginnt die 18. Dynastie der Pharaonen.

4. Eine entscheidende Kulturleistung der Westsemiten und der Hebräer: die Entwicklung der hebräischen Schrift und des Konsonantenalphabets

Die Josefsgeschichte, im 16.-14. Jh. vor Christus spielend, tangiert somit eine weltgeschichtliche, insbesondere auch für die hebräischen Stämme äußerst bedeutsame Entwicklung: In den Hochkulturen der Sumerer zwischen Euphrat und Tigris, dem Ägypterreich am Nil und dem dazwischen liegenden "Scharnier" Palästina / Kanaan sowie Phönizien und die Region um das heutige Syrien entsteht die Fähigkeit der Menschen zu schreiben.

In Ägypten erfindet man die Hieroglyphenschrift mit 750 Zeichen. Ungefähr in der gleichen Zeit entwickeln die Sumerer ihre Keilschrift, ebenfalls eine Bilderschrift wie diejenige in Ägypten. Diesen beiden Schriftformen -ca. 1500 vor Christus- hinzufügen muss man die aufkommende altsinaitische und protokanaanäische Schrift, die zu den hebräischen Schriftformen zählen. Diese sind eine Art Vorläufer der um 600 vor Christus aufkommenden "althebräischen Schrift".

Das Konsonantenalphabet, entwickelt durch westsemitische Völker, zu denen auch die in Kanaan verbliebenen und nicht unter Jakob nach Ägypten ausgewanderten hebräischen Clans gehörten, hatte gegenüber den Bilderschriften einen wesentlichen Vorteil: Die 750 Zeichen der Hieroglyphenschrift werden durch 22 Konsonanten, eine Schrift also ohne Vokale, ersetzt.

Der Vorteil dabei ist, dass man mit dem Konsonantenalphabet wesentlich prägnanter formulieren kann, also Sachverhalten und Dingen präzise Worte zuordnen kann, was in dieser Form in Ägypten und Sumer und den dortigen Bilderschriften nicht der Fall ist.

Es entsteht somit ein entscheidender Fortschritt in der Kulturgeschichte der Menschheit.

Autor: Herbert H.W. Metzger, Jahrgang 1940, unternehmerisch tätig, amtierte von 1980-1990 als Gründungsvorstand des Historischen Vereins der Pfalz e. V., Ortsgruppe Mutterstadt. Im Rahmen von zwei Bürgeraktionen und dieser Publikation "Die ehemalige jüdische Gemeinde und ihre Nachkommen" engagiert er sich, das Unrecht, begangen an der ehemaligen jüdischen Gemeinde von Mutterstadt und der Pfalz, aufzuarbeiten und vor allem die Jugend über das Schicksal des Pfälzer und Mutterstadter jüdischen Bevölkerungsteils zu informieren.

Quelle: "Die Bibel und ihre Welt", Seite 56-76, Lübbe-Verlags GmbH, Bergisch-Gladbach. "Bibel Heute, Josef in Ägypten", 1998, Kath. Bibelwerk e.V. Stgt.