5.3.3 Die letzte Station für jüdische Menschen im Deportationslager Gurs: Auschwitz
– Die Deportation in die Vernichtungslager -

So präsentiert sich 1995 die Gedenkstätte u.a. zu Ehren der Saarpfälzer und Badener Juden im südwestfranzösischen Pyrenäenort Gurs. Das "Stamm"-Lager Gurs kooperierte noch mit den Lagern Rivesaltes für Familien, Noé für alte Menschen und Récébédou für Behinderte. Das Lager "Les Milles", östlich von Marseille, und Hotels in Marseille nahmen Emigranten aus Frankreich auf, die Ausreisepapiere hatten. [000]


Ida und Karola Loeb, verh. Dellheim, gehörten zu den Glücklichen, denen die Ausreise 1941 in die USA gelingt. Wichtig dabei: Ohne aufopfernde, selbstlose Hilfe von Nichtjuden, z.B. Behördengänge, ging nichts! Erteilte USA-Visen verfielen kurzfristig und mussten erneuert werden, Ausreisepapiere der französischen Regierung, Transitvisen für Spanien und Portugal sowie Schiffspassagen, beispielsweise ab Lissabon mussten besorgt werden. [000]

Mit das Widerwärtigste ist das behördliche Fahrpreisgefeilsche und Kosten-/Nutzendenken der Deutschen Reichsbahn bezüglich der Auschwitztransporte 1942-44 aus Frankreich. Ein Trick der Nazis: Die aus Friedenszeiten jedermann geläufige, mit Akkuratesse, Pflichtbewusstsein und im vorauseilendem Gehorsam arbeitende Bürokratie behielt diesen Arbeitsstil auch bei den Massenmord-Aktionen bei. Sie spielte den Opfern dadurch einen gewissen Anschein behördlicher Normalität vor. [000]

Das Foto zeigt die Zugverbindungen von Frankreich nach Auschwitz. Vor dem Abtransport wurden im problemlosen Zusammenwirken der französischen (Vichy-) Regierung, deutschen Dienststellen und der Reichsbahn jüdischen Menschen in ganz Frankreich nach durchgeführten Menschenjagden oftmals in offenen oder ge-schlossenen Güterwagen unter unmenschlichen Bedingungen, ohne genügend Wasser und Essen, nach Auschwitz gebracht. [000]

Das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das Tor zur Gaskammer. Der Bahnhof Drancy bei Paris, als größter Sammelknotenpunkt für Auschwitztransporte, wurde auch den Juden in Gurs als Zielort genannt. Als sich herumsprach, dass es nach Polen ginge, brach Panik aus. Menschen begingen Selbstmord. 334 Personen der über 800 aus der Pfalz 1940 Verschleppten kamen in die deutschen Vernichtungslager in Polen, davon 314 nach Auschwitz. Keine 10 haben überlebt! In Gurs und in den Nebenlagern starben 223 jüdische Menschen (1940-42). [000]

Die Verlegung in andere Lager in Südfrankreich

Ab Februar 1941 wurde mit der Verlegung einer größeren Zahl von Deportierten in kleinere Nebenlager begonnen: Familien mit Kinder kamen hauptsächlich nach Rivesaltes (Dép. Pyrénées Orientales), wo die Baracken in besserem Zustand waren als in Gurs und auch die Krankenstationen über eine bessere Einrichtung verfügten. Allerdings verursachten die schlechten klimatischen Verhältnisse in diesem Lager eine Zunahme von Krankheiten. Ältere Gursinternierte wurden in das Lager Noé südlich von Toulouse verlegt, andere, vor allem auch Behinderte, kamen in das Lager Récébédou (Dép. Haute Garonne), und die mit Ausreisepapieren versehenen Internierten wurden in die "Centres d’embar-quement" (Lager für Emigranten) "Les Milles" bei Marseille sowie in die Hotels "Bompard" und "Terminus du Port" in Marseille gebracht. In Les Milles befanden sich im Juni 1941 ca. 1500, in Noé 1550, in Récébédou 1800, in Rivesaltes 8000 und in Gurs noch 6200 Personen.

Rettungsaktionen und Emigration

Mehrere Tausend Juden konnten durch die Hilfsorganisationen, aber auch dank des Einsatzes einzelner Franzosen gerettet werden. So wurde zum Beispiel der aus Wolhynien stammende katholische Geistliche Abbé Alexandre Glasberg, der manche aus den Lagern herausholte und Flüchtlingsheime errichtet, für viele zum Lebensretter. Die OSE war bestrebt, die Kinder aus dem Lager herauszuholen, und besorgte für sie bessere Unterkünfte. Tausende von jüdischen Kindern überlebten dank des Engagements der amerikanischen "Society of Friends", der Quäker, die in Marseille ein eigenes Büro unterhielten und dafür sorgten, dass ein großer Teil der internierten Kinder das Lager verlassen konnte. Sie wurden entweder in Kinderheime gebracht oder von Privatfamilien aufgenommen. Viele gelangten durch Vermittlung der Quäker nach den USA, kamen zu Verwandten oder wurden von Pflegeeltern großgezogen.

Nur einem kleinen Teil der Internierten war die Emigration möglich, denn "nur wer über genügend Geld verfügte, nur wer einflussreiche Verwandte oder Freunde im Ausland hatte, konnte sich für eine Weile an der Hoffnung aufrichten, vielleicht irgendwann einmal aus dem Schreckensort herausgeholt zu werden".

Ende 1940 hatten ca. 4 200 Personen im Lager Gurs die Absicht auszuwandern, "ganze Familien mit Kindern oder Verwandten in USA, die sie schon um Einwanderungspapiere gebeten hatten". Eine Reihe von ihnen besaß bereits Einwanderungsvisa für die USA, die allerdings nur vier Wochen Gültigkeit hatten und somit Ende 1940 fast alle verfallen waren. Neben dem Einwanderungsvisum mussten die Emigranten auch eine von den Vichy-Behörden auszustellende Ausreiseerlaubnis, ein Transitvisum (für Spanien und Portugal) sowie Devisen für die Schiffspassage besitzen. Doch auch diejenigen, die all diese Voraussetzungen erfüllten, scheiterten oft an der fehlenden Passagemöglichkeit. Die wenigen Schiffe waren bis auf Monate hinaus ausgebucht. Verzweifelt warteten die im Auswanderungslager Les Milles einsitzenden Juden auf einen Schiffsplatz:

"Hier ist man schwer enttäuscht über das Missverständnis zwischen den amerikanischen Versprechungen und den Taten, die uns gegenüber geschehen. Man hat uns im Namen von USA versprochen, uns aus der Hölle von Gurs zu erlösen und uns zur Emigration zu verhelfen. Jetzt sitzen die, welche ihr Visum haben, hier ohne Schiffe, und infolge des stockenden Abtransportes machen die Konsulate (besonders das von USA) die den Süddeutschen von Stuttgart her bekannten Schikanen… Deshalb sorgt für viel viel mehr Schiffe zum Transport".

Ab Mai 1941 wurde die Auswanderung durch den Druck der NS-Regierung auf Vichy-Frankreich weiter erschwert.

Die Deportation in die Vernichtungslager

Auf der interministeriellen Besprechung im RSHA in Berlin am 20. Januar 1942 ("Wannsee-Konferenz") wurde über das Schicksal der im Einflussbereich der Nationalsozialisten lebenden Juden beraten, nachdem ein Erlass zum Reichsbürgergesetz Ende 1941 sämtliche im Ausland lebenden deutschen Juden zu "Staatenlosen" erklärt und ihr Vermögen zugunsten des Staats konfisziert hatte. Im "Zuge der Endlösung" sollen – laut Besprechungsprotokoll – "die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen". Die arbeitsfähigen Juden sollten zum Straßenbau eingesetzt werden, "wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird". Die Verbleibenden müssten "entsprechend behandelt werden", da sie "eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaus anzusprechen" seien. "Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchgekämmt", heißt es weiter im Protokoll der "Wannsee-Konferenz".

Nachdem der deutsche Militärbefehlshaber in Frankreich am 4. Februar 1942 die Auswanderung von Juden ehemals deutscher Staatsangehörigkeit aus Frankreich untersagt hatte, erließen die mit der "Judenfrage" befassten deutschen Dienststellen in Paris ab März 1942 erste Anweisungen zur Deportation von Juden "in den Osten". SS-Hauptsturmführer Theo Dannecker hatte am 4. März 1942 bei der Tagung der Judenreferenten im RSHA in Berlin die Meinung vertreten, man solle der französischen Regierung "den Abschub mehrerer tausend Juden" vorschlagen. Bereits am 10. März 1942 meldete Dannecker, dass "jetzt schon in Vorverhandlung mit französischen Regierungsstellen eingetreten werden könne wegen des Abschubs von rd. 5 000 Juden nach dem Osten". Schon Ende 1941 hatte der deutsche Militärbefehlshaber General Otto von Stülpnagel die Deportierungen "größerer Massen von Juden und Kommunisten nach dem Osten" als Mittel zur Sühne von Attentaten gegen deutsche Wehrmachtsangehörige angesehen, die "viel abschreckender auf die französische Bevölkerung wirkt als die von ihr nicht verstandenen Massenerschießungen".

Am 27. März 1942 verließ der erste Transportzug mit 1 112 Personen von Compiegne aus Frankreich in Richtung Auschwitz. Die "praktische Durchführung der Endlösung" hatte damit begonnen. Zwischen April und Juli 1942 arbeiteten das Reichssicherheitshauptamt in Berlin in Verbindung mit den entsprechenden Dienststellen der Gestapo in Paris die Pläne für die Fortführung der Abtransporte aus. Auch die Deutsche Botschaft in Paris hatte – wie Botschafter Abetz am 2. Juli 1942 zum Ausdruck brachte – "gegen die Abtransportierung von 40 000 Juden aus Frankreich zum Arbeitseinsatz in dem Lager Auschwitz… grundsätzlich keine Bedenken". Bei einem Gespräch des Chefs des RSHA, Heydrich, mit dem Chef der französischen Polizei, Bousquet, im Mai 1942 in Paris, soll letzterer Heydrich darum gebeten haben, "auch die über eineinhalb Jahre im unbesetzten Gebiet internierten Juden mit abzutransportieren".

Im Juni 1942 wurden die Deportationen in den Osten fortgesetzt, wobei die französische Polizei "die von den Deutschen angeordnete und von Vichy gebilligte Hilfestellung leistete".

Die Maßnahmen zur so genannten Endlösung wurden im Sommer 1942 gleichzeitig in der besetzten und unbesetzten Zone Frankreichs eingeleitet. Razzien, regelrechte Menschenjagden wurden durchgeführt. Allein am 16./17. Juli 1942 wurden in Paris insgesamt 12 884 staatenlose und ausländische Juden festgenommen. Die ledigen und kinderlos verheirateten Juden (ca. 5 000) wurden in das Zwischenlager Drancy (20 km nordöstl. von Paris) verbracht, während der Rest, darunter 4 051 Kinder, auf die Lager Pithiviers und Beaune-la-Rolande verteilt wurden, von wo auch sie wenig später die Reise in die Vernichtungslager antreten mussten.

In der Zeit von März 1942 bis August 1944 sind insgesamt 73 853 Juden in 77 Transporten aus Frankreich in den Osten deportiert worden, vor allem in den Monaten August und September 1942. Die meisten Deportationen erfolgten von dem Zwischenlager Drancy aus, lediglich die beiden ersten von Compiégne aus, sechs Transporte starteten in Pithiviers, zwei in Baune-la-Rolande, einer der ersten in Angers, die vorletzte Deportation aus Frankreich setzte sich von Lyon aus in Bewegung. Allein 71 Transporte gingen nach Auschwitz, zwei nach Majdanek, zwei nach Sobidor und je einer nach Reval und Buchenwald.

Am 5./6. August 1942 wurde in Gurs und den anderen Internierungslagern in Südfrankreich mit der Deportation begonnen. Die Lagerleitung verschwieg auf Anordnung des Präfekten das vorläufige Ziel Drancy. Bald hatte es sich jedoch herumgesprochen, dass die Fahrt nach Polen ginge. Erschütternde Szenen spielten sich daraufhin in Gurs und den anderen Lagern ab. In Gurs brach "eine Art Selbstmordepidemie" aus, so dass das dortige Hospital in wenigen Stunden von Menschen überfüllt war, "die versucht hatten, sich Hals- oder Pulsschlagadern zu öffnen, und die im letzten Augenblick noch vor dem Verbluten gerettet werden konnten".

Unter den damals über Drancy in die Vernichtungslager im Osten verschleppten Juden befanden sich mindestens 334 der über 800 Personen, die am 22. Oktober 1940 aus der Pfalz nach Gurs deportiert worden waren. Allein 314 von ihnen kamen nach Auschwitz und neun nach Lublin-Majdanek. Nur ganz wenige, keine zehn, haben diese Lager überlebt. 120 Juden starben nachweislich zwischen Ende Oktober 1940 und Mitte 1942 in Gurs, 28 im Lager Noé, 13 in Récébédou, 11 in Rivesaltes und 31 in weiteren Lagern bzw. Hospitälern in Südfrankreich.

94 Personen galten seit der Deportation nach Gurs bzw. seit der von dort erfolgten Verlegung in ein anderes Lager als verschollen. Mindestens 188 Personen konnten gerettet werden. Von ihnen wanderten 78 aus, vor allem nach den USA. 38 Personen überlebten nachweislich in Frankreich. Nach Kriegsende kehrten 41 Personen wieder nach Deutschland zurück, zum Teil in die gleichen Städte und Dörfer in der Pfalz, aus denen sie einst verschleppt worden waren.

Autor: Roland Paul, Jahrgang 1951, ist stellvertretender Direktor des Instituts für pfälzische Geschichte und Volkstum in Kaiserslautern. Paul ist anerkannter Fachmann u.a. für die Thematik Emigration und Deportation des jüdischen Bevölkerungsteils aus Südwestdeutschland in das südwestfranzösische Lager Gurs 1940. Der Autor hat u.a. in dieser Hinsicht umfangreich publiziert und berät u.a. die Rheinland-Pfälzische Landesregierung. Er pflegt gute Kontakte zum Leo Baeck Institut in New York und auch zu zahlreichen jüdischen Emigranten in der ganzen Welt.

Fotos und Sonstiges, sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie, sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Pfalzatlas, Textband IV 53. Heft, 1991. Dort sind auch von Herrn Paul die weiteren Quellen genannt.

Für Schulen: Multiple-Choice-Fragen zu dem oben stehenden Artikel

- Mehrere Antworten können richtig sein -

Im Zuge der praktischen Endlösung (=Vernichtung jüdischer Menschen) wird Europa von Westen nach Osten durchkämmt. Wo wurde das beschlossen?

 
in der Wannsee-Konferenz in Berlin, 1942
 
in der Friedenskonferenz von Evian/Schweiz, 1938
 
auf der Münchener Konferenz, 1938

 

Wann wurden die ersten Zugtransporte von Gurs nach Auschwitz durchgeführt?

 
1938
 
1942
 
1945

 

Wie viele Personen aus der Pfalz wurden von Gurs nach Auschwitz gebracht und dort getötet?

 
ca. 324 Personen
 
500 Personen
 
200 Personen