6.2.4 Emigration: der ausgewanderte Heinz Eppler schreibt aus seinem Leben
– Eine Hommage an seine Eltern, seine Großtante Bertha, Großvater Isidor und seinen Bruder Kurt -

Das Foto zeigt das Ehepaar Eppler 1998 während einer Abendgesellschaft im Rahmen ihres Besuches in Mutterstadt. Neben einem Empfang in der Staatskanzlei in Mainz und durch eine offizielle Ehrung seitens der Gemeinde Mutterstadt, vor allem aber durch die Wertschätzung und nachbarschaftliche Nähe, die den Epplers durch Privatpersonen entgegengebracht wurden, wurde das freundschaftliche Einvernehmen vertieften . [000]

Mit Ausnahme von Isidor und Bertha Eppler, der Großvater und die Großtante von Heinz, konnte sich die gesamte Großfamilie durch Emigration in die USA vor dem Holocaust retten. Die obigen Karteikarten des Lager Gurs zeigen auf, dass Isidor Eppler im Lager am 11.01.41 und Bertha am 03.12.41 in Marseille verstorben sind. [000]

Das Schreiben vom 08.05.95 zeigt eine verständliche Zurückhaltung gegenüber Mutterstadt auf. Drei Jahre später 1998 nimmt er jedoch die Möglichkeit wahr, einer ausgesprochenen Einladung zu folgen. Heinz Eppler möchte seinen vier Enkelkindern und seiner Frau Ruthe die „Wurzeln“ seiner Familie zeigen. Der Aufenthalt wird zu einem Erlebnis der Aussöhnung. [000]

Heinz Eppler und The American Jewish Joint Distribution Committee, Inc. Das Schreiben vom 18. Januar 2002 dokumentiert das andauernde Engagement Epplers als Ehrenpräsident der Gesellschaft zu Gunsten jüdischer Menschen in Not.

Vorbemerkung:

Die Biografie des Heinz Eppler 2002 mit seiner Ehefrau Ruthe, ihrem Sohn und ihren zwei Töchtern war und ist, auch solange seine Eltern lebten, in das Leben seiner Familie – auf Gegenseitigkeit – eingebettet. Jeder trug und trägt, eingeschlossen der Enkelkinder, nach seinen Kräften zum familiären Zusammenhalt bei. Dies ist eine bei jüdischen Menschen extrem ausgeprägte Verhaltensweise, die ihre Ursache in den Jahrtausenden währenden Verfolgungen, Vertreibungen und Ausgrenzungen seitens ihres nichtjüdischen Umfeldes hat.

Heinz Eppler kann im Jahre 2002 als 78-Jähriger neben einer emotional intakten Familie auch auf eine äußerst erfolgreiche berufliche Karriere und auf die Tatsache zurückblicken, dass er nach Erlangung der finanziellen Unabhängigkeit Anfang der 1980er Jahre sich im philanthropischen Sinne für das Wohlergehen jüdischer Menschen speziell in den osteuropäischen Ländern einsetzt.

Dies u.a. als Präsident des Jewish Joint Distribution Committee (JDC = Joint) in den Jahren 1984-88. Bis zum heutigen Tage ist er Ehrenpräsident dieser seit der Zarenzeit um 1900 aktiven jüdischen Wohlfahrtsorganisation. Der Historische Verein der Pfalz e. V., Ortsgruppe Mutterstadt, nahm in den 1980er Jahren Kontakt mit Heinz Eppler auf, der höflich aber auch reserviert beantwortet wurde.

Erst der Besuch 1998 in Mutterstadt zusammen mit seiner Frau Ruthe und vier Enkelkindern erbrachte durch die gezeigte Gastfreundschaft seitens Mutterstadter Privatpersonen, der Gemeindeverwaltung, ja selbst des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, ein emotionales Umdenken in Bezug auf seinen Heimatort Mutterstadt. Dieses Umdenken ist beispielsweise erkennbar, dass er mitwirkt u.a. mit Hilfe dieser Internetpublikation Schülerinnen und Schülern die Geschehnisse u.a. aus der nationalsozialistischen Zeit via Internet zugänglich zu machen.

„Ich war nicht ganz elf Jahre alt, als ich Mutterstadt verließ. Meine Eltern haben sich sehr angestrengt, um Amerikaner zu werden.

Ihr Leben war zerstört, sie waren tief verletzt, als sie gezwungen wurden, das Land, in dem sie geboren wurden, zu verlassen. Sie wohnten zusammen mit meinem Großvater Isidor Eppler, der schließlich nach Gurs deportiert wurde, wo er einige Monate später starb. Man kann daraus leicht ersehen, warum damals (1998) in Mutterstadt beim Abendessen eine ordentliche Unterhaltung nicht möglich war. Die Tragik um Isidor Eppler und seine Frau Bertha wurde vor den Söhnen geheim gehalten, speziell wegen ihres jugendlichen Alters. Ich denke gern an meine frühen Jahre in Mutterstadt zurück. Die zwei Häuser, die Stallung für Kühe und Pferde dahinter, den Garten mit Gemüse und Blumen hinter der Scheune.

Ich lebte mit meinen Eltern, Bruder und Großvater im großen Haus. Meines Vaters Tante, Bertha Neu, wohnte in dem kleinen Haus. Sie kam 1914 nach Mutterstadt, als Rosa Eppler, ihre Schwester, gestorben ist. Mein Vater und mein Großvater waren Viehhändler, ein Beruf, den einige jüdische Familien im Dorf ausübten. Sie arbeiteten hart, waren geachtete Bürger in der Gemeinschaft, stolz Deutsche zu sein und stolz Juden zu sein.

Mein Vater, Jakob Eppler, kämpfte für Deutschland im Ersten Weltkrieg und zog sich Frostbeulen zu, die ihm sein ganzes Leben zu schaffen machten. Er wurde ausgezeichnet mit mehreren Medaillen und schließlich dem Eisernen Kreuz. Er brachte die Auszeichnungen in die Vereinigten Staaten mit, als er einwanderte und war sehr stolz auf sie.

Wir führten ein friedliches Leben im Dorf. Die Familie feierte die jüdischen Feiertage und besuchte regelmäßig den Gottesdienst am Sabbat in der Synagoge.

Wir hatten unsere Freude am Wald und machten gelegentlich einen Ausflug zum Rhein. Das Leben war einfach und wir wussten nicht, wie schnell sich unser Leben verändern würde.

Mein Bruder Kurt und ich besuchten die Volksschule, bis wir Mutterstadt im Jahre 1938 verließen. Als Hitler an die Macht kam, fühlten wir uns Jahr um Jahr mehr und mehr isoliert. Wir gehörten nicht zur „Hitlerjugend“. Unsere Eltern beschützten uns so gut als möglich vor den Gesetzen, die die Juden einschränkten, in Deutschland ein geordnetes Leben zu führen. Ich habe jedoch noch lebhaft in Erinnerung, wie die nächtlichen Fackelzüge unser Haus passierten, die SA und SS während des Tages mit Zeichen unser Haus markierten: „Da wohnen Juden“.

Wir hatten Glück. Meine Mutter, Brüder und Schwestern lebten in den Vereinigten Staaten und waren in der Lage, uns Visa zu verschaffen. Wir verließen Deutschland im August 1938. Isidor Eppler und seine Frau Berta, geb. Neu, blieben zurück. Ich kenne den Grund nicht. Entweder er konnte keine Visa bekommen oder wegen ihres vorgerückten Alters, wollten sie nicht ihren Sohn belasten, oder Isidor dachte vielleicht, sie sind bis jetzt durchgekommen oder Hitler wird verschwinden.

Ich bin jetzt 72 Jahre alt. Ich denke oft daran, was mein Großvater zu ertragen hatte. Die Kälte, der Hunger, die Beschimpfungen, die Demütigungen. Ein stolzer Mann, der sein Leben lebte als ein guter deutscher Bürger, Freunde und Nachbarn hatte, die ihm aber, wenn nötig, den Rücken kehrten. Das muss sehr weh getan haben.

Jakob und Paula kamen mit ihren beiden Söhnen am Ende der großen Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten an. Jobs waren schwer zu finden. Mein Vater, ein geachteter Geschäftsmann, war gezwungen die niedrigsten Jobs anzunehmen. Er tat, was immer notwendig, um ein dürftiges Leben für seine Familie zu bestreiten. Er stellte Zeitungen zu, reinigte nachts Kinos und wusch Geschirr in Gaststätten. Meine Mutter öffnete unser Haus für Untermieter und arbeitete 15 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche.

Es war nicht leicht, aber sie widmeten ihr Leben ihren zwei Söhnen, beide dienten in der US-Armee während des 2. Weltkrieges. Meine Eltern sparten ihr Geld. Sie arbeiteten hart und schließlich gingen sie in Rente, führten ein komfortables Leben und freuten sich mit ihren Kindern und Enkeln.

Mein Bruder Kurt war mit mir im Geschäft, freute sich am Erfolg des Unternehmens und zog sich im frühen Alter zurück. Unglücklicherweise starb er sehr bald, im Alter von 69 Jahren.

Da gab es eine Reihe von Deutschen, die sich auf die Seite der Juden stellten und ihnen geholfen haben, die meisten aber haben sich abgewendet.

Autor: Heinz Eppler, Jahrgang 1927, gebürtiger Mutterstadter jüdischer Herkunft, stammt aus einer angesehenen Viehhändlerfamilie. Seine Eltern, er und sein Bruder entkamen 1938 dem NS-Regime durch Auswanderung. Er baute ein an der New Yorker Börse notiertes Filialunternehmen für Damenoberbekleidung auf. Philanthropische Denkweisen veranlassten den Autor, 1980-84 die Präsidentschaft der Wohlfahrtsorganisation Jewish Joint Distribution Committee (JDC), New York, zu übernehmen.

Fotos und Sonstiges sowie die dazugehörenden Texte, die Autoren-Kurzbiographie sowie die Multiple-Choice-Fragen wurden durch den Herausgeber zusammengestellt.
Quelle: Siehe Quellennachweis Titel 9 (Nr. 000)

Für Schulen: Multiple-Choice-Fragen zu dem oben stehenden Artikel

- Mehrere Antworten können richtig sein -

Wer hat die Familie Eppler 1998 als Besucher in Mutterstadt freundschaftlich aufgenommen?

 
Bürger der Gemeinde Mutterstadt
 
der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck
 
die Gemeindeverwaltung und der Bürgermeister Ewald Ledig

 

Wohin wurden die Großeltern von Heinz Eppler, Isidor und Bertha, 1940 deportiert?

 
in das Lager des südwestfranzösischen Pyrenäenstädtchens Gurs
 
nach Auschwitz
 
nach Dachau

 

In welcher jüdischen, weltweit agierenden Wohlfahrtsorganisation ist Heinz Eppler Ehrenpräsident?

 
The American Jewish Joint Distribution Committee, Inc.
 
im „Washington Holocaust Memorial Museum“
 
im „Zentralrat der Juden in Deutschland“