9.3.2 Rheinpfalz-Artikel vom 25.10.2000
– Mahnmal für jüdische Opfer angeregt -

Mahnmal für jüdische Opfer angeregt

Mutterstadt: Gurs-Gedenkgottesdienst

Mit einem ökumenischen Gedenkgottesdienst unter Beteiligung der Ortspolitik und des Historischen Vereins gedachten am Montagabend die Mutterstadter Bürger den vor 60 Jahren ins südfranzösische Gurs deportierten jüdischen Menschen der Gemeinde Mutterstadt. Herbert Metzger vom Historischen Verein schlug vor, ein Mahnmal für die Opfer in Mutterstadt zu errichten.

„Unvorstellbares Leid ist am Morgen des 22. Oktober 1940 über die Menschen aus der Pfalz, Baden und dem Saarland hereingebrochen. Über 6500 Menschen, unter ihnen alle Mutterstadter Juden, wurden nach Südfrankreich unter entwürdigenden Umständen deportiert“, erinnerte der protestantische Pfarrer Hans-Peter Jung. „In der jüdischen aber auch in der christlichen Tradition gebe es den Brauch der Märtyrer im Gottesdienst zu gedenken“, sagte der katholische Geistliche Gerhard Matt und verlas die Namen der Opfer des NS-Rassenwahns und betete für sie mit einem jüdischen Gebet. Wie war es möglich, dass Nachbarn, die jahrelang friedlich zusammenlebten, plötzlich wegsahen? Dass Menschen, die Recht kannten, plötzlich wegsahen, als das Recht gebrochen wurde? Wie war es möglich, dass – trotz beispielhaften Verhaltens einzelner – die Kirchen keine Wege fanden, den Opfern zu helfen?, fragten die beiden Geistlichen.

Historiker kritisiert Ortschronik: Verharmlosung der Geschehnisse

Herbert Metzger vom Historischen Verein kritisierte die Ausführungen der Ortschronik über jüdisches Leben in Mutterstadt von 1722-1940 als mangelhaft und bezeichnete die Formulierungen über das „Erlöschen des jüdischen Gemeinwesens“ als Verharmlosung des Geschehenen. „Die Juden sind nicht aus eigenem Willen verschwunden, sondern zwangsdeportiert worden“, stellte Metzger klar. In der über 1200-jährigen Mutterstadter Geschichte habe es etwas Vergleichbares nicht gegeben.

„An Opfer erinnern und ihnen ein Gesicht geben“

Metzger berichtete von bewegenden Zusammentreffen mit ehemaligen jüdischen Mitbürgern in Amerika. Es bestehe die moralische Verpflichtung, mit den Überlebenden und deren Nachkommen die Verbindung herzustellen oder aufrechtzuerhalten. Leider hätten nur wenige den Holocaust überlebt, wie einige jüdische Mitbürger, die unter großer persönlicher Gefahr in Mutterstadt bis zur Befreiung versteckt wurden, sagte Metzger. Zur Erinnerung an die Opfer schlug Metzger vor, ein Mahnmal im Bereich des Neuen Friedhofs zu errichten. Dabei präzisierte der Historiker seine Vorstellungen. Es gelte, endlich den Opfern ein Gesicht zu geben, dies in einer Zeit, in der unbelehrbare Neo-Nazis wieder von sich reden machten. Nicht nur die Politiker, sondern gerade die Bürger müssten sich für den Gedanken der Versöhnung engagieren. „Es geht um Gerechtigkeit“, rief Metzger den Gottesdienstbesuchern zu.

„Dies war die erste Massendeportation von Juden im Dritten Reich gewesen und die traurige Fortsetzung der Reichskristallnacht“, erinnerte Bürgermeister Ewald Ledig an die Geschehnisse. Die damals Verantwortlichen hätten voller Stolz den Vollzug der Aktion nach Berlin gemeldet. Das grüne Ratsmitglied Barbara Preis habe bei einem Besuch im französischen Gurs im Namen der Gemeinde ein Blumengebinde wider das Vergessen niedergelegt. Der gutbesuchte Gottesdienst wurde von Stefan Franz an der Orgel und einem Musikduo feierlich umrahmt.