Ökumenischer Gedenkgottesdienst
Mit einem ökumenischen Gedenkgottesdienst mit Beteiligung der politischen Gemeinde und des Historischen Vereins gedachten am Montagabend die Mutterstadter Bürgerinnen und Bürger den vor 60 Jahren nach dem südfranzösischen Gurs deportierten jüdischen Menschen der Gemeinde Mutterstadt. Der gut besuchte Gottesdienst wurde von Stefan Franz an der Orgel und einem Musikduo feierlich umrahmt.
„Unvorstellbares Leid sei am Morgen des 22. Oktober 1940 über die Menschen aus der Pfalz, Baden und dem Saarland hereingebrochen. Über 6500 Menschen, unter ihnen alle Mutterstadter Juden, wurden nach Südfrankreich unter entwürdigenden Umständen deportiert“, erinnerte der protestantische Pfarrer Hans-Peter Jung. „In der jüdischen aber auch in der christlichen Tradition gebe es den Brauch der Märtyrer im Gottesdienst zu gedenken“, sagte der katholische Geistliche Gerhard Matt, verlas die Namen der Opfer des Rassenwahns und betete für die Opfer mit einem jüdischen Gebet. Herr, wie war es möglich, dass Nachbarn, die jahrelang friedlich zusammenlebten, plötzlich wegsahen? Dass Menschen, die Recht kannten und dafür eintraten, plötzlich wegsahen, als das Recht gebrochen wurde? Wie war es möglich, dass trotz beispielhaften Verhaltens Einzelner die Kirchen leibliches und seelisches Leiden unzähliger Unschuldiger gesehen haben ohne ihre Stimme für sie zu erheben, ohne Wege gefunden zu haben ihnen zu Hilfe zu eilen, fragten die beiden Geistlichen. Die beiden Pfarrer beteten für alle Flüchtlinge und Heimatlosen unserer Erde, dass sie Aufnahme finden und ein neues Zuhause oder heimkehren können in sichere Verhältnisse. Dass Krieg und Verfolgung ein Ende haben, für alle Minderheiten in der Welt. Dass ihr Wert erkannt und ihnen Lebensrecht zugestanden wird. Dass Rassenhass und Menschenverachtung ein Ende haben und sichtbar wird, dass Gott allen Menschen zugetan ist. „Dies sei die erste Massendeportation von Juden im Dritten Reich gewesen und die traurige Fortsetzung der Reichskristallnacht“, erinnerte Bürgermeister Ewald Ledig. Die damals Verantwortlichen hätten voller Stolz den Vollzug der Aktion und die Gaue als judenfrei nach Berlin gemeldet. Die unglückselige Wannseekonferenz habe dann die endgültige Vernichtung der Juden beschlossen. Der Bürgermeister wies auf die schrecklichen Bedingungen im Lager Gurs hin, nur wenige hätten die Deportation überlebt, bei vielen verliere sich die Spur in Auschwitz, was gleichbedeutend mit Tod und Vernichtung sei, so Ledig. Das Ratsmitglied Barbara Preis habe bei einem Besuch in Gurs im Namen der Gemeinde ein Blumengebinde wider das Vergessen niedergelegt. Herbert Metzger vom Historischen Verein kritisierte die Ausführungen der Ortschronik über jüdisches Leben in Mutterstadt von 1722-1940 als mangelhaft und bezeichnete die Formulierungen über das Erlöschen des jüdischen Gemeinwesens als Verniedlichung. „Die Juden seien nicht aus eigenem Willen verschwunden, sondern zwangsdeportiert worden“, stellte Metzger klar. In der über 1200-jährigen Geschichte des Ortes habe es so etwas Vergleichbares noch nie gegeben. Metzger berichtete von bewegenden Zusammentreffen mit ehemaligen jüdischen Mitbürgern aus Amerika. Seine Familie und er werden auch weiterhin für die Aussöhnung mit Hand und Herz eintreten. Es bestehe die moralische Verpflichtung mit den Überlebenden und deren Nachkommen die Verbindung herzustellen oder aufrechtzuerhalten. Leider hätten nur wenige den Rassenwahn überlebt. So auch jüdische Mitbürger, die von großherzigen christlichen Familien unter großer persönlicher Gefahr in Mutterstadt bis zur Befreiung versteckt wurden, zeigte sich Metzger dankbar. Zur Erinnerung an die Opfer von damals schlug Metzger vor, ein Mahnmal im Bereich des Neuen Friedhofs zu errichten. Dabei präzisierte der Historiker seine Vorstellungen sowohl in der baulichen Ausführung, als auch die angedachte Finanzierung des Mahnmals. Es gelte endlich den Opfern ein Gesicht zu geben, dies in einer Zeit, in der Unbelehrbare wieder von sich reden machten. Nicht nur die Politiker, sondern gerade die Bürger müssten sich für den Gedanken der Vesöhnung engagieren. „Es geht um Gerechtigkeit“, rief Metzger den Gottesdienstbesuchern zu. Der von Gesang und Orgelmusik begleitete ökumenische Gottesdienst endete mit dem gemeinsam gesprochenen Glaubensbekenntnis, dem Vaterunser aller Christen.
Gedenkfahrt nach Gurs
Anlässlich des 60. Jahrestages der Deportation der pfälzischen, saaländischen und badischen Juden veranstaltete die Deutsch-Israelische Gesellschaft vom 2. bis 6. Oktober eine Gedenkfahrt zum ehemaligen Lager Gurs in den französischen Pyrenäen. An der Fahrt nahm auch Ratsmitglied Barbara Preis aus Mutterstadt teil. Sie legte dort im Auftrag der Gemeinde Mutterstadt auf dem Jüdischen Friedhof ein Blumengebinde für die in Gurs umgekommenen jüdischen Bürger Mutterstadts nieder.
Aus der Pfalz wurden 826 Personen deportiert, 52 davon kamen aus Mutterstadt. Sehr eindrücklich schilderte ein Überlebender, der Mannheimer Kinderarzt Dr. Eugen Neter, den Fahrtteilnehmern die Ankunft im Lager Gurs: „Vom Regen durchnässt, frierend, von der langen beschwerlichen Bahnfahrt erschöpft, schauten sich die Menschen in den leeren Baracken nach einer Möglichkeit zum Sitzen oder zum Liegen um. Keinerlei Sitzgelegenheit bot sich ihnen. Am Boden Strohsätze oder Stroh oder gar nichts! Auf ihrem Gepäck sitzend – soweit sie solches hatten – vebrachten viele, darunter über 70- und 80-jährige Frauen und Männer diese erste Nacht im Camp, körperlich und seelisch zerrüttet“. Diese Schilderung trifft sicherlich auch auf die aus Mutterstadt Deportierten zu. Wie elend und hoffnungslos wird sich beispielsweise die 79-jährige Elisabeth Weissmann oder der 76-jährige Isidor Eppler aus Mutterstadt in jenen kalten Oktobertagen in Gurs gefühlt haben? Die Lebenskraft reichte nur noch bis ins Jahr 1941. Das gleiche Schicksal ereilte weitere 12 Mutterstadter, die im ersten oder zweiten Jahr im Lager umgekommen sind. Der größte Teil der nach Gurs deportierten Mutterstadter wurde nach Auschwitz gebracht und dort umgebracht.
Sprache ist kaum in der Lage, jenes Entsetzliche zu beschreiben, das der jüdischen Bevölkerung von den Machthabern des 3. Reiches angetan wurde – angetan auch von den damals Verantwortlichen in Mutterstadt, die in den Vollzug der Deportation eingebunden waren. Das grausame Schicksal der deportierten jüdischen Bürger gehört zur Geschichte der Gemeinde Mutterstadt. Die Fahrtteilnehmer waren sich einig: „Wir gedenken der Opfer und verneigen uns vor ihnen. Wir vergessen nicht die Täter von gestern und heute“.